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Der Zauber der Wirklichkeit

Die faszinierende Wahrheit hinter den Rätseln der Natur

Richard Dawkins, Ullstein (2012), 272 Seiten, ISBN: 9783550088506

Der Zauber der Wirklichkeit - Cover
Richard Dawkins kann hervorragend erklären. Das erfährt man in jedem seiner Bücher und Fernsehbeiträge, besonders in den naturwissenschaftlich orientierten Werken. In »Der Zauber der Wirklichkeit« hat er sich zwölf hauptsächliche Fragen ausgesucht mit dem Ziel, ihre naturwissenschaftliche Erklärung darzulegen. Er kontrastiert jede dieser »wahren Erklärungen« mit einigen Mythen, die vor der Naturwissenschaft als »Erklärung« für das jeweilige Phänomen erfunden wurden. Das Buch richtet sich meines Erachtens hauptsächlich an jugendliche Leser und junge Erwachsene. Ich habe das Buch auf Englisch und in der Version der interaktiven iPad-App gelesen. Dazu später mehr.
In zwölf Kapiteln führt Dawkins den Leser durch die Natur und behandelt Fragen aus der Biologie (»Wer war die erste Person«, »Warum gibt es so viele verschiedene Tiere«), aus der Physik (z.B. »Woraus bestehen die Dinge?«, »Was ist die Sonne«, »Wann und wie fing alles an?«, »Was ist ein Regenbogen?«), der Geographie (»Was ist ein Erdbeben«, »Warum gibt es Nacht und Tag, Winter und Sommer?«), der Kosmologie (»Sind wir allein?«). Außerdem gibt es noch zwei eher philosophische Kapitel (»Warum passieren schlimme Dinge?« und »Was ist ein Wunder?«). Das einleitende Kapitel erklärt Dawkins Verständnis von Realität und seine Verwendung des Wortes »Zauber« (»magic«).

Jedes Kapitel beginnt mit der Schilderung einiger Mythen, die sich Menschen zu verschiedenen Zeiten der Geschichte als Antwort auf die jeweilige Frage ausgedacht haben. Dawkins greift dabei auf Mythens aus der ganzen Welt zurück und macht in seiner Bewertung keinen Unterschied zwischen solchen Mythen, die aus weitgehend ausgestorbenen Religionen wie der der Wikinger stammen und solchen, die dem Christentum, Judentum oder Islam entstammen. Diese Gleichbehandlung wird natürlich manchem Leser bitter aufstoßen, birgt aber – wie ich finde – besonders (aber nicht nur) für das Zielpuplikum auch eine wichtige Erkenntnis: Es gibt viele religiöse Erzählungen und auch wenn man die eigene für besonders hält, spricht im globalen Vergleich nichts dafür, dass eine einzelne Religion wahrer ist als die anderen.

Durch diese Gegenüberstellung von Mythen und den dann jeweils folgenden »wahren« Erklärungen der Naturwissenschaft webt Dawkins seinen weltanschaulich-aufklärerischen Faden in das Buch. Das kann man mögen oder nicht (mir hat es gefallen) – der Qualität der Erklärungen im jeweils restlichen Teil jedes Kapitels schadet es jedenfalls in keiner Weise.

Alle Kapitel sind didaktisch hervorragend aufgebaut und in einem freundlichen, zugänglichen Ton geschrieben. Als erwachsener, erfahrener Leser fühlt man sich manchmal etwas zu sehr an der Hand genommen, aber so ist das eben, wenn man außerhalb der angestrebte Zielgruppe liest. Dawkins baut seine Erklärungen – wie man es von ihm kennt – nachvollziehbar und in klarer Logik auf, so dass man am Ende jedes Kapitels die Antwort auf die Ausgangsfrage verstehen kann. Dabei kommt immer wieder eine seiner großen Stärken zum Tragen: Dawkins ist sehr gut darin, anschauliche Vergleiche zu finden, um schwierige Sachverhalte nachvollziehbar zu machen. Besonders hat mir im Kapitel »Wer war die erste Person« das Bild des Fotostapels gefallen: Um zu verdeutlichen, das zwischen zwei angrenzenden Generationen kaum merkbare Unterschiede bestehen, dass diese sich über viele Generationen hinweg jedoch stark akkumulieren, greift er auf einen Stapel von Fotos zurück. Beginnend mit dem eigenen Foto soll der Leser gedanklich das Foto des eigenen Vaters und dann das des Großvaters dahinter stellen. Und nun beginnt das eigentlich Gedankenexperiment: Wie würde wohl der Großvater vor 185 Millionen Generationen aussehen? Der Leser wird zum eigenen Nachdenken angeregt und dann wird dieser »Großvater« gezeigt: Es ist ein Fisch. Anschließend gehen wir an den auf einem vierzig Meilen langen Bücherregal aufgestapelten Fotos vorbei und ziehen immer mal wieder eines aus dem Stapel, um zu sehen, wie die Entwicklungslinie hin zum Menschen zu verschiedenen Zeiten ausgesehen hat.

Auch wenn ich das Prinzip der Evolution bereits verstanden hatte, hat dieses Bild meine eigenes Erklärungsrepertoire bereichert. Ich werde sicher bei nächster Gelegenheit im Biologieunterricht darauf zurückgreifen.

iPad-App

Das Buch gibt es in einer reich illustrierten Fassung (die ich auf jeden Fall der reinen Textversion vorziehen würde) und als interaktive iPad-App. Normalerweise mag ich Bücher nicht, die als eigene App verkauft werden (die also NICHT als E-Book in eine Lese-App wie iBooks oder Kindle App integriert sind): Eine App pro Buch wird mit der Zeit einfach sehr unübersichtlich. In diesem Fall habe ich aber eine Ausnahme gemacht. Sie hat sich gelohnt.

Die App enthält alle Illustrationen des Buches, ist aber durch zahlreiche interaktive Elemente angereichert, die das Verständnis und die Freude am Erkunden sehr steigern. So kann man beispielsweise im Kapitel über Erdbeben die Position der Kontinente zu verschiedenen Zeiten einstellen oder sich eine Video-Animation eines simulierten Erdbebens in Los Angeles anschauen. Im Kapitel über die Sonne kann man aus dem Sonnensystem herauszoomen und so eine sehr gute Vorstellung von den Größenverhältnissen der Planeten und Stern bekommen (was aufgrund der enormen Größenunterschiede auf Papier praktisch nicht möglich ist). Im Kapitel über Tag und Nacht/Sommer und Winter kann man ausprobieren, wie man die von Newton erdachte Kanone auf einem Berg abfeuern muss, damit die Kugel in eine stabile Erdumlaufbahn gelangt.

Es gibt insgesamt nicht allzuviele solcher Elemente, aber sie sind meist gut gemacht und bringen in der Regel einen Erkenntnisgewinn. Leider haben sie die App auch manchmal zum Absturz gebracht (und das auf einem iPad der neuesten Generation).

Konsistenz der Zielgruppe

In einigen Rezensionen habe ich die Kritik gelesen, dass die naturwissenschaftlichen Inhalte für die Zielgruppe zu leicht und die teilweise eingeflochtenen philosophischen Aspekte zu schwierig seien, dass somit die Zielgruppe nicht klar definiert sei. Das stimmt zum Teil, ich empfinde es aber nicht als einen gravierenden Mangel des Buches. Ein jugendlicher Leser wird sicherlich – je nach Herkunftsland und Schulsystem – Manches schon wissen und Anderes nicht. Das ist aber in einem Buch mit so vielen verschiedenen Themen normal, wie ich finde. Dass die philosophischen Überlegungen (z.B. von Hume über die Beurteilung von »Wundern«) anspruchsvoller sind, schadet meines Erachtens nicht. Auch diese werden anschaulich erklärt und sind prinzipiell zugänglich, auch wenn man sich vielleicht etwas mehr »durchbeißen« muss.

Religiöse Aspekte

Dawkins hat bekanntermaßen ein sehr enges Bild von Religion: Er hält deren Grundlage für faktisch nicht haltbar und lehnt sie daher ab. Soziale oder ethische Aspekte zieht er kaum in Betracht. Das kommt auch in diesem Buch ein klein wenig heraus: Er zitiert religiöse Mythen als Erklärungsversuche, die sich im Laufe der Entwicklung der Menschheit als falsch erwiesen haben und die durch bessere Erklärungen der Naturwissenschaften ersetzt wurden. Das funktioniert im Kontext des Buches, wie ich finde, weil es um Erklärungen für Naturphänomene geht. Wer aber selbst religiös ist, wird sich an dieser verkürzten Darstellung vielleicht stören. Hier liegt eine Schwäche des Buches, denn durch die Gegenüberstellung der Mythen mit der »Wahrheit« (Dawkins benutzt tatsächlich das Wort »truth«), verprellt man möglicherweise Leser, die gegenüber den wissenschaftlichen Erklärungen selbst vielleicht offen gewesen wären. Meines Erachtens hätte das Buch auch ohne diese Gegenüberstellung funktioniert, auch wenn sie mich persönlich nicht gestört hat.

Fazit

Dawkins Buch lohnt sich aus meiner Sicht für jeden, der Freude am Verständnis der Natur hat. Durch die breite Vielfalt der Themen werden sicher auch für Erwachsene Aspekte dabei sein, die man bisher noch nicht wusste – oder eben Erklärungen zu bekannten Themen, die den Horizont erweitern. Besonders lohnt sich das Buch aber für Jugendliche und junge Erwachsene. Durch die Illustrationen (und im Falle der iPad-App: die interaktiven Elemente) kann man nicht nur faszinierende Einblicke gewinnen, sondern wird auch visuell und spielerisch bereichert.

verfasst von Andreas Kalt am 15.03.2014 | 8911-mal gelesen

Fachrichtungen: Erdkunde fächerübergreifend Physik Astronomie Chemie Biologie


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