Georg Büchner  LEONCE & LENA

Leonce und Lena - Lesarten

Melancholisch-romantisches Lustspiel oder politische Satire?
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"In Zürich schrieb Büchner als Emigrant und Privatdozent das letzte romantische Lustspiel 'Leonce und Lena'. Es ist ein zarter Traum aus Witz und Schwärmerei, ein Marionettenspiel im schwebenden Raum der übermächtigen Phantasie."
Fritz Martini Deutsche Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Kröner Stuttgart 1960 S.368
"Gleichsam ein Endstadium der K(omödie) stellt Georg Büchners Leonce und Lena (1838) mit seiner Zitathaftigkeit und Radikalisierung dar, die die Spieler zu Marionetten und Automaten in einer heillosen Welt werden lässt."
Volker Meid - Sachwörterbuch zur Deutschen Literatur, Stichwort "Komödie", Reclam Stuttgart 2000 CD-ROM-Ausgabe
"Das übermütige, von feiner Ironie durchzogene Lustspiel gehört zu den Perlen deutscher Komödienkunst. Der äußerst anmutige und spritzige Dialog wechselt fortwährend zwischen witzigen Pointen und echten Herzenstönen; das innere Thema ist die Überwindung des Lebensekels in einer im Automatismus erstarrten Welt durch die Liebe."
Reclams Schauspielführer, Stuttgart 1954 S. 431
"Hebt sich der Vorhang von 'Leonce und Lena', so wird die Wirklichkeit für eine Weile aufgehoben, doch ohne daß man sie vergessen könnte. Das Stück ist keine Märchen-Entführung, sondern Daseins-Verdoppelung, Traum-Erkenntnis.
Leonce und Lena ist das Satyrspiel nach der Tragödie des Danton. Ein Spiel über die Schicksalspieleri, nach dem Ernst der Schicksalsverhängung. (...) Das Stück ist aber auch Büchners in Ironie gekleideter Verzicht auf ferneres Eingreifen ins Weltgeschehen, sein Abschied von der Politik. Alles, was er im Landboten gesagt, sagt er noch einmal, doch diesmal nicht mit dem Ernst, der ihn beinahe umgebracht hat, sondern mit Witz, der ihn freimachte und erlöste."
Ernst Johann: Büchner, rowohlt Hamburg 1958/1970 S. 113/4
"Die Grundstimmung, die Büchner ein »Lustspiel« schaffen läßt, ist nicht fröhlicher Mutwillen oder heiter lächelnder Spott, sondern Haß. Das klingt seltsam. Haß mag die Gestaltung des Satirikers und Pamphletisten leiten, der nicht so sehr lachen machen, als treffen und verletzen will. Aber der Lustspieldichter? (...) In der Tat sind weite Stellen des Leonce weder romantisches Lustspiel noch Lustspiel überhaupt, sondern ganz einfach Satire: alle Szenen des spinozisierenden Königs Peter und der höfischen Hegelinge um ihn her. Auch die grausam-traurige Bauernszene, jenes Spalier der vivatschreienden Sozialstatisten bei der Durchfahrt hoher Herrschaften, dem jedes Bewußtsein der Erbärmlichkeit seiner Lage fehlt."
Hans Mayer, Georg Büchner und seine Zeit, Suhrkamp Frankfurt 1972 S. 323, zuerst 1959 Aufbau Verlag Berlin (DDR)
"Das in einem deutschen Duodez-Fürstentum angesiedelte, aus kurzszenischen Bildfolgen bestehende Stück - eine »Affenkomödie« des Großherzogtums Hessen - ist eine grandiose, parodistisch zugespitzte Denunziation der nutzlosen feudalaristokratischen Lebensweise, der nicht-produktiven, auf Ausbeutung beruhenden Existenz und ihrer Attribute: Genußsucht und Melancholie, Langeweile und hohle Konvention, romantische Weltflucht und Winkelpolitik. Was Büchner im »Hessischen Landboten« angeklagt hatte - den »langen Sonntag« der Reichen -, ist hier auf dem Unterboden eines bitteren Sarkasmus in ironisch-beziehungsreiche, poetisch verschlüsselte Bilder umgesetzt. Deren politische Brisanz wäre einem zeitgenössischen Publikum gewiß offenkundig gewesen."
Kurze Geschichte der deutschen Literatur, Volk und Wissen Berlin (DDR) 1981, S. 406
"Leonce und Lena (1836), ein Lustspiel nach dem Vorbild von Brentanos Ponce de Leon, führt zurück in die Welt der Drahtpuppen und Automaten, nur aufgehoben durch die Atmosphäre der Ironieform des Traumes. Damit scheint dieses heitere Satyrspiel als Gegenstück zur DantonTragödie konzipiert."
Hoffmann/Rösch: Grundlagen, Stile, Gestalten der deutschen Literatur, Cornelsen 1996, S. 283
"Büchner brach zwar nach der Flucht aus Hessen im März 1835 seine Verschwörertätigkeit ab, doch war ihm nur der Sinn einer Revolution in Deutschland suspekt geworden. Er bestreitet ihren Zweck, sofern sie hier und heute stattfände. Deshalb ist es kein Bruch, wenn er vom Stück über die notwendig scheiternde Revolution ('Danton') zur Karikatur feudaler Staatlichkeit und gelangweilten Müßiggangs ('Leonce und Lena') und von einer zum Stimmvieh abgerichteten Volksmasse ('Leonce und Lena', III, 1) zum einzelnen Opfer bürgerlich-gesellschaftlicher Abrichtung im 'Woyzeck' weitergeht."
Joachim Bark, Geschichte der deutschen Literatur, Biedermeier-Vormärz, Bürgerlicher Realismus, Pegasus Klett Stuttgart 1984 S.42
"Die Komödie - mehr noch die Satire - verlangen vom Dichter eine konsequente Parteinahme gegen das Alte, Verfallende und - objektiv - sein Eintreten für das Neue. Es ist kein Zufall, daß sich gerade in der Zeit, als sich das deutsche Proletariat als Klasse formierte, Dichter fanden, die mit der Waffe des - meist bitterbösen - Lachens gegen diese Welt des Verfalls angingen, wie Heine, Büchner, Weerth, daß der Glauben an das Volk ihnen die Kraft dazu gab. In Leonce und Lena" entlarvt Büchner mit satirischer Übersteigerung die Unmenschlichkeit, Hohlheit und nicht zuletzt den Anachronismus des feudalen Kleinstaatendespotismus in Deutschland."
Autorenkollektiv: Vormärz 1830 - 1848, Erläuterungen zur deutschen Literatur, Volk und Wissen Berlin (DDR) 1952/1972 S. 61/2


© Klaus Dautel, 2001

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