Nachfolge-Projekt "Kalteis"

Krimi oder Heimatliteratur?

Ihr erzählerisches Verfahren beherrscht sie, sie hat einen eigenen Ton gefunden. Das große Lob, das man dem Debüt entgegenschleuderte, ist aber auch eine Bürde. Will sie denn überhaupt Kriminalliteratur schreiben? Eher nein. Heimatliteratur? Auch nicht.

Aber Trittsicherheit im abgebildeten Milieu wird man verlangen müssen, und hier gibt es im neuen Buch Schwachstellen. München, damals immerhin die fahnen-geschmückte Hauptstadt der Bewegung“, bleibt merkwürdig blass und schematisch. Zwischen Tal und Wiesen, Ickstatt- und Lothringer Straße Schäftlarn und Milbertsho-fen wird die Atmosphäre der dörflichen Großstadt mehr behauptet als in Details aus-gearbeitet. Auch sprachlich verzichtet die Autorin auf Differenzierung. Die Erzählung bleibt im Hauptton einem sonderbaren Kunstbairisch treu. Sie benutzt Stilbrüche wie Schnürsenkel“, das große“ Hallo, die verdammte Lüge“ und alle Zeit der Welt“. Dies sind jedenfalls Redewendungen, die nicht ins München des Jahres 1938 passen.

Gerda, Kuni, Herta, Erna, Marlis, Kathie. Junge Frauen vom Land und aus der Stadt, deren Aufbruch ins Leben Kalteis zerstört. Die einen hätten den Aufstieg ins Bürger-tum geschafft, die anderen hätten sich nicht halten können, sie landen wie das Landei Kathie in der Gosse. Der immerwährende Traum von der großen Stadt, vom Leben in Freiheit jenseits der vermeintlichen dörflichen Enge, der wird im Fall Kathies ganz schnell zu einem Abrutschen ins Milieu der (Gelegenheits-)Prostitution.

Der Traum ist ausgeträumt, an seine Stelle müssen andere treten, und die führen gera-dewegs auf die schiefe Bahn des Kitsches. Etwa wenn sich die Protagonistin ein ums andere Mal kalt und leer“ fühlt und sich in Tagträumen von Wolken und Fliegen ver-liert. Bei solchen Hinweisen ahnt man schon: Es geht jetzt gleich dahin mit der Kathie. Ihren Oktoberfest-Ausflug schildert sie so: “Geschaukelt bin ich. Geschaukelt bis hinauf in den Himmel. Noch ein bisschen und ich flieg hinein in die Wolken, wie ein Vogel hab ich gedacht. So leicht war mir. Natürlich weiß ich, dass das nicht geht. Aber wenn einer so hoch schaukelt, dann wird einem ganz leicht, und dann glaubt man wirklich, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, für den Bruchteil einer Sekunde, einen Wimpernschlag, man würde fliegen. So leicht ist einem da ums Herz.“

Es gibt keinen Ermittler, es gibt nur einen Fall. Der handelt von den Opfern, die nun nach siebzig Jahren ein literarisches Begräbnis dem Vergessen entreißt. Wie das ari-sche Parteimitglied Kalteis zur Strecke gebracht wurde, erfahren wir nicht. Es spielt keine Rolle, denn die geheime Reichssache“ wird schon im Prolog vollstreckt: Der schildert die letzten Stationen vor der Hinrichtung durch das Fallbeil. Wie das Buch ausgeht, ist damit aber noch nicht gesagt.

Auszüge entnommen Hannes Hintermeier "Dem Traum folgt kein Erwachen mehr", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.2007

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