13. Bild: Wozu Helden heute?
Galilei widerruft vor der Inquisition am 22. Juni 1633 seine Lehre von der Bewegung der Erde.Im Palast des florentinischen Gesandten warten Galileis Gefährten, Andrea, Fulganzio, Federzoni, sowie seine Tochter auf den Ausgang des Verfahrens. Virginia betet im Hintergrund, dass Galilei widerrufen möge. Seine Schüler aber erwarten, dass Galilei nicht widerruft. Je länger das Läuten der Glocken, das Zeichen für Galileis Widerruf, ausbleibt, desto sicherer sind sie sich.
Doch dann läuten die Glocken und eine Stimme verkündet Galileis Widerruf ; Virginia atmet auf, die Männer aber sind zutiefst enttäuscht und erschüttert. Insbesondere für Andrea scheint eine Welt zusammenzubrechen, er reagiert ganz körperlich durch Übelkeit.
Galilei tritt aus dem Hintergrund hinzu:
Andrea: "Unglücklich das Land, das keine Helden hat."
Galilei: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat."
- Thema: Von Sinn, Unglück und Wahnsinn des Heldentum
- Arbeitsaufträge:
- Unterrichtsgespräch:
- Was zeichnet einen Helden/eine Heldin aus?
- Wer sind die Helden/Heldinnen von heute? (Sportler?) - Zum Nachschlagen und Vergleichen: Was sagen Lexika zum Stichwort "Held"? (->Hinweise unten)
- Erarbeitung einer eigenen Definition als Vorarbeit für die Einschätzung
von Galileis Heldentum:
Wählen Sie Adjektive aus und tragen Sie diese in den Lückentext ein:Wer oder was ist ein Held? -------------------------------------------------------------------------- | DEFINITION: eigenwillig, uneigennützig | | unerbittlich, reich, | | HELDEN sind ________________ Menschen, vorbildhaft, zäh, gut, | | stark, schön, mutig, | | die sich ______________________________, interessant, spannend | | erfolgreich, klug | | ________________und_____________ gnadenlos, einmalig | | einen guten Zweck | | für______________________________ Menschheit, Rettung | | einsetzen, Revolution, Umwelt, Frauen | | wie zum Beispiel_________________ Macht, Herrschaft, Armut | | Gut und Böse, Reich und Arm | | Unterdrückte, Menschenrechte...| -------------------------------------------------------------------------- || \/ Wägen Sie ab und begründen Sie: / \ / \ Galilei ist ein Held, Galilei ist KEIN Held, weil... weil..... weil... weil..... weil... weil.....
Hinweise: Stimmen zum Thema
- Der Schülerduden:
"Held, ursprünglich ein Mann, vornehmlich ein Krieger, der sich durch hervorragende Tapferkeit und besonders ruhmreiche Taten auszeichnete. In dieser Bedeutung erscheinen u.a. die Hauptpersonen in der Heldensage. Als Held wird darüberhinaus auch eine Person betitelt, die im MIttelpunkt eines Geschehens steht oder durch vorbildliches Verhalten Bewunderung und Anerkennung hervorruft. (...) Im bürgerlichen Roman bzw. Drama tritt dagegen mehr der passive Held in Erscheinung, der durch seelische Labilität und Willensschwäche gekennzeichnet ist (negativer Held) und eher als Opfer denn als Handelnder in Erscheinung tritt."
Schülerduden - Die Literatur, Mannheim 1989 S.195 - Hans Mayer:
"Galilei bei Brecht ist zwar ein negativer Held, aber noch ein Held. Sein negatives Handeln soll den Blick freigeben auf die Möglichkeiten positiven Handelns. (...) Brechts hintergründiges Stück, das dem Stückeschreiber selbst aus den Händen glitt und das er immer wieder einzufangen bemüht war, läßt sowohl die Entwicklung auf positiv heldenhaftes Handeln zu, inspiriert durch den Anblick des negativ handelnden Galilei (hier handelt Brecht mit ähnlichen Mitteln wie bei der negativ handelnden Gestalt der Mutter Courage), wie auch die erst von Dürrenmatt zu Ende gedachte Möglichkeit, daß die Physiker in der heutigen Welt und Gesellschaft nicht mehr zu Helden irgendwelcher Art taugen, weder negativ noch positiv. (...) "Nein.Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." Der Satz stammt noch aus der ersten Konzeption des Schauspiels, die den Widerruf als insgeheim zu billigenden Kompromiß verstanden hatte, weiterarbeiten zu können. Der Satz gehört zu den Texten in der Sklavensprache."
Hans Mayer: Brecht, Frankfurt 1996 S.401/2
- Friedrich Nietzsche:
"Was 'den Helden' betrifft: so denke ich nicht so gut von ihm wie Sie. Immerhin: er ist die annehmbarste Form des menschlichen Daseins, namentlich, wenn man keine andere Wahl hat.
Man gewinnt etwas lieb: und kaum ist es einem von Grund aus lieb geworden, so sagt der Tyrann in uns (den wir gar zu gerne "unser höheres Selbst" nennen möchten):"Gerade das gib mir zum Opfer." Und wir geben's auch - aber es ist Tierquälerei dabei und Verbranntwerden mit langsamem Feuer."
Friedrich Nietzsche an Heinrich von Stein, Dezember 1882
Text- und Arbeitsblatt:
Aus den Flüchtlingsgesprächen (1940) von Bertolt Brecht:
In Bertolt Brechts 1940 verfassten "Flüchtlingsgesprächen" treffen sich zwei Emigranten, der Physiker Ziffel und der Arbeiter Kalle, im Bahnhofsrestaurant von Helsinki. Sie unterhalten sich über die Lage in Nazi-Deutschland, über die politische Weltlage und ihre eigenen Zukunftsaussichten. Dabei äußert sich Ziffel über das HELDENTUM IN MODERNER ZEIT folgendermaßen:
"Kalle, Kalle, was sollen wir armen Menschen machen? Überall wird Übermenschliches verlangt, wo sollen wir noch hin? (...) Über dem ganzen Kontinent nehmen die Heldentaten zu, die Leistungen des gemeinen Mannes werden immer gigantischer, jeden Tag wird eine neue Tugend erfunden. Damit man zu einem Sack Mehl kommt, braucht man eine Energie, mit der man früher den Boden einer ganzen Provinz hätte urbar machen können. Damit man herausbringt, ob man schon heut fliehen muß oder erst morgen fliehen darf, ist eine Intelligenz nötig, mit der man noch vor ein paar Jahrzehnten hätt ein unsterbliches Werk schaffen können. Eine homerische Tapferkeit wird gefordert, damit man auf die Straße gehen kann, die Selbstentsagung von einem Buddha, damit man überhaupt geduldet wird. Nur wenn man die Menschlichkeit von einem Franz von Assissi aufbringt, kann man sich von einem Mord zurückhalten. Die Welt wird ein Aufenthaltsort für Heroen, wo sollen wir da hin? Eine Zeitlang hats ausgesehen, als ob die Welt bewohnbar werden könnt, ein Aufatmen ist durch die Menschen gegangen. Das Leben ist leichter geworden. Der Webstuhl, die Dampfmaschine, das Auto, das Flugzeug, die Chirurgie, die Elektrizität, das Radio, das Pyramidon kam, und der Mensch konnte fauler, feiger, wehleidiger, genußsüchtiger, kurz glücklicher sein. Die ganze Maschinerie diente dazu, daß jeder alles tun können sollte. Man rechnete mit ganz gewöhnlichen Leuten in Mittelgröße. Was ist aus dieser hoffnungsvollen Entwicklung geworden? Die Welt ist schon wieder voll von den wahnwitzigsten Forderungen und Zumutungen. Wir brauchen eine Welt, in der man mit einem Minimum an Intelligenz, Mut, Vaterlandsliebe, Ehrgefühl, Gerechtigkeitssinn usw. auskommt, und was haben wir? Ich sage Ihnen, ich habe es satt, tugendhaft zu sein, weil nichts klappt, entsagungsvoll, weil ein unnötiger Mangel herrscht, fleißig wie eine Biene, weil es an Organisation fehlt, tapfer, weil mein Regime mich in Kriege verwickelt. Kalle, Mensch, Freund, ich habe alle Tugenden satt und weigere mich, ein Held zu werden."
Pyramidon - Fieber- und Schmerzlinderungsmittel
1. Geben Sie Ziffels Position in eigenen Worten wieder.
2. vergleichen Sie diese mit Galileis Aussage in Bild 13 und
3. nehmen Sie Stellung.
Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.