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Kapitel
1,
2,
3,
4,
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6,
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10,
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13,
14,
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16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort
Copyright 1997.
Kurt Stüber
Schlußbetrachtung
Die Zahl der Welträthsel hat sich durch die angeführten
Fortschritte der wahren Natur-Erkenntniß im Laufe des
neunzehnten Jahrhunderts stetig vermindert; sie ist schließlich auf
ein einziges allumfassendes Universal-Räthsel
zurückgeführt, auf das Substanz-Problem. Was ist
denn nun eigentlich im tiefsten Grunde dieses allgewaltige Weltwunder,
welches der realistische Naturforscher als Natur oder Universum
verherrlicht, der idealistische Philosoph als Substanz oder
Kosmos, der fromme Gläubige als Schöpfer oder Gott?
Können wir heute behaupten, daß die wunderbaren
Fortschritte unserer modernen Kosmologie dieses "Substanz-Räthsel"
gelöst oder auch nur, daß sie uns dessen
Lösung sehr viel näher gebracht haben?
Die Antwort auf diese Schlußfrage fällt natürlich sehr
verschieden aus, entsprechend dem Standpunkte des fragenden
Philosophen und seiner empirischen Kenntniß der wirklichen Welt.
Wir geben von vornherein zu, daß wir dem innersten Wesen der
Natur heute vielleicht noch ebenso fremd und verständnißlos
gegenüberstehen, wie Anaximander und Empedokles
vor 2400 Jahren, wie Spinoza und Newton for 200 Jahren,
wie Kant und Goethe vor 100 Jahren. Ja wir müssen
sogar eingestehen, daß uns dieses eigentliche Wesen der Substanz
immer wunderbarer und räthselhafter wird, je tiefer wir in die
Erkenntniß ihrer Attribute, der Materie und Energie, eindringen, je
gründlicher wir ihre unzähligen Erscheinungsformen und
deren Entwickelung kennen lernen. Was als "Ding an sich" hinter
den erkennbaren Erscheinungen steckt, das wissen wir auch heute noch
nicht. Aber was geht uns dieses mystische "Ding an sich"
überhaupt an, wenn wir keine Mittel zu seiner Erforschung
besitzen, wenn wir nicht einmal klar wissen, ob es existirt oder nicht?
Ueberlassen wir daher das unfruchtbare Grübeln über
dieses ideale Gespenst den "reinen Metaphysikern" und erfreuen wir
uns statt dessen als "echte Physiker" an den gewaltigen realen
Fortschritten, welche unsere monistische Natur-Philosophie
thatsächlich errungen hat.
Da überragt alle anderen Fortschritte und Entdeckungen des
verflossenen "großen Jahrhunderts" das gewaltige, allumfassende
Substanz-Gesetz, das "Grundgesetz von der Erhaltung der Kraft
und des Stoffes". Die Thatsache daß die Substanz überall
einer ewigen Bewegung und Umbildung unterworfen ist, stempelt
dasselbe zugleich zum universalen Entwickelungs-Gesetz. Indem
dieses höchste Naturgesetz festgestellt und alle anderen ihm
untergeordnet wurden, gelangten wir zur Ueberzeugung von der
universalen Einheit der Natur und der ewigen Geltung der
Naturgesetze. Aus dem dunklen Substanz-Problem entwickelte
sich das klare Substanz-Gesetz. Der Monismus des Kosmos, den
wir darauf begründen, lehrt uns die ausnahmslose Geltung der
"ewigen, ehernen, großen Gesetze" im ganzen Universum. Damit
zertrümmert derselbe aber zugleich die drei großen Central-Dogmen der
bisherigen dualistischen Philosophie, den
persönlichen Gott, die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit
des Willens.
Viele von uns sehen gewiß mit lebhaftem Bedauern oder selbst mit
tiefem Schmerze dem Untergange der Götter zu, welche unsern
theuern Eltern und Voreltern als höchste geistige Güter
galten. Wir trösten uns aber mit dem Worte des Dichters:
"Das Alte stürzte, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen!"
Die alte Weltanschauung des Ideal-Dualismus mit ihren
mystischen und anthropistischen Dogmen versinkt in Trümmer;
aber über diesem gewaltigen Trümmerfelde steigt hehr und
herrlich die neue Sonne unseres Real-Monismus auf, welche uns
den wundervollen Tempel der Natur voll erschließt. In dem reinen
Kultus des "Wahren, Guten und Schönen", welcher der Kern
unserer neuen monistischen Religion bildet, finden wir reichen
Ersatz für die verlorenen anthropistischen Ideale von "Gott,
Freiheit und Unsterblichkeit".
In der vorliegenden Behandlung der Welträthsel habe ich meinen
konsequenten monistischen Standpunkt scharf betont und den
Gegensatz zu der dualistischen, heute noch herrschenden
Weltanschauung klar hervorgehoben. Ich stütze mich dabei auf
die Zustimmung von fast allen modernen Naturforschern, welche
überhaupt Neigung und Muth zum Bekenntniß einer
abgerundeten philosophischen Ueberzeugung besitzen. Ich möchte
aber von meinen Lesern nicht Abschied nehmen, ohne versöhnlich
darauf hinzuweisen, daß dieser schroffe Gegensatz bei
konsequentem und klarem Denken sich bis zu einem gewissen Grade
mildert, ja selbst bis zu einer erfreulichen Harmonie gelöst werden
kann. Bei völlig folgerichtigem Denken, bei
gleichmäßiger Anwendung der höchsten Principien auf
das Gesamtgebiet des Kosmos - der organischen und
anorganischen Natur -, nähern sich die Gegensätze des
Theismus und Pantheismus, des Vitalismus und Mechanismus bis zur
Berührung. Aber freilich, konsequentes Denken bleibt eine seltene
Natur-Erscheinung! Die große Mehrzahl aller Philosophen
möchte mit der rechten Hand das reine, auf Erfahrung
begründete Wissen ergreifen, kann aber gleichzeitig nicht
den mystischen, auf Offenbarung gestützten Glauben
entbehren, den sie mit der linken Hand festhält. Charakteristisch
für diesen widerspruchsvollen Dualismus bleibt der Konflikt
zwischen der reinen und der praktischen Vernunft in der kritischen
Philosophie des höchstgestellten neueren Denkers, des
großen Immanuel Kant.
Dagegen ist immer die Zahl derjenigen Denker klein gewesen, welche
diesen Dualismus tapfer überwanden und sich dem reinen
Monismus zuwendeten. Das gilt ebensowohl für die konsequenten
Idealisten und Theisten, wie für die folgerichtig denkenden
Realisten und Pantheisten. Die Verschmelzung der anscheinenden
Gegensätze, und damit der Fortschritt zur Lösung des
fundamentalen Welträthsels, wird uns aber durch das stetig
zunehmende Wachsthum der Natur-Erkenntniß mit jedem Jahre
näher gelegt. So dürfen wir uns denn der frohen Hoffnung
hingeben, daß das anbrechende zwanzigste Jahrhundert
immer mehr jene Gegensätze ausgleichen und durch Ausbildung
des reinen Monismus die ersehnte Einheit der Weltanschauung in
weiten Kreisen verbreiten wird. Unser größter Dichter und
Denker, dessen 150. Geburtstag wir 1899 begingen, Wolfgang
Goethe, hat dieser Einheits-Philosophie schon im Anfange des
neunzehnten Jahrhunderts den vollendeten poetischen Ausdruck
gegeben in seinen unsterblichen Dichtungen: Faust, Prometheus, Gott
und Welt!
"Nach ewigen, ehernen
Großen Gesetzen
Müssen wir Alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden."
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