| Inhalt, 
Kapitel
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,
10,
11,
12,
13,
14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
 Copyright 1997. 
Kurt Stüber
 Vierzehntes Kapitel
 Einheit der Natur.
Monistische Studien über die materielle und energetische Einheit 
des Kosmos. - Mechanismus und Vitalismus. - Ziel, Zweck und Zufall. 
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Inhalt: Monismus des Kosmos. Principielle Einheit der 
organischen und anorganischen Natur. Kohlenstoff-Theorie (Karbogen-Theorie).
Hypothese der Urzeugung (Archigonie). Mechanische und 
zweckthätige Ursachen. Mechanik und Teleologie bei Kant. Der 
Zweck in der organischen und anorganischen Natur. Vitalismus, 
Lebenskraft. Neovitalismus, Dominanten. Dysteleologie (Lehre von den 
rudimentären Organen). Unzweckmäßigkeit und 
Unvollkommenheit der Natur. Zielstrebigkeit in den organischen 
Körpern. Ihre Abwesenheit in der Ontogenese und in der 
Phylogenese. Platonische Ideen. Sittliche Weltordnung, nicht 
nachzuweisen in der organischen Erdgeschichte, in der Wirbelthier-Geschichte, in
der Völker-Geschichte. Vorsehung. Ziel, Zweck und 
Zufall. 
 
Durch das Substanz-Gesetz ist zunächst die fundamentale 
Thatsache erwiesen, daß jede Naturkraft mittelbar oder 
unmittelbar in jede andere imgewandelt werden kann. Mechanische und 
chemische Energie, Schall und Wärme, Licht und Elektrizität 
können in einander übergeführt werden und erweisen 
sich nur als verschiedene Erscheinungsformen einer und derselben 
Urkraft, der Energie. Daraus ergiebt sich der bedeutungsvolle Satz 
von der Einheit aller Naturkräfte oder wie wir auch sagen 
können, dem "Monismus der Energie". Im gesammten 
Gebiete der Physik und Chemie ist dieser Fundamental-Satz jetzt 
allgemein anerkannt, soweit er die anorganischen Naturkörper 
betrifft. 
Anders verhält sich scheinbar die organische Welt, das bunte und 
formenreiche Gebiet des Lebens. Zwar liegt es auch hier auf der Hand, 
daß ein großer Theil der Lebenserscheinungen 
unmittelbar auf mechanische und chemische Energie, auf elektrische 
und Licht-Wirkungen zurückzuführen ist. Für einen 
anderen Theil derselben aber wird das auch heute noch bestritten, so 
vor Allem für das Welträthsel des Seelenlebens, 
insbesondere des Bewußtseins. Hier ist es nun das hohe Verdienst 
der modernen Entwickelungslehre, die Brücke zwischen 
den beiden, scheinbar getrennten Gebieten geschlagen zu haben. Wir 
sind jetzt zu der klaren Ueberzeugung gelangt, daß auch alle 
Erscheinungen des organischen Lebens ebenso dem universalen 
Substanz-Gesetz unterworfen sind wie die anorganischen 
Phänomene im unendlichen Kosmos. 
 Die Einheit der Natur,die hieraus folgt, die Ueberwindung des 
früheren Dualismus, ist sicher eines der werthvollsten Ergebnisse 
unserer modernen Genetik. Ich habe diesen "Monismus des 
Kosmos", die principielle "Einheit der organischen und anorganischen 
Natur" schon vor 36 Jahren sehr eingehend zu begründen 
versucht, indem ich die Uebereinstimmung der beiden großen 
Naturreiche in Beziehung auf Stoffe, Formen und Kräfte einer 
eingehenden kritischen Prüfung und Vergleichung unterzog 
(Generelle Morphologie, 5. Kap.). Einen kurzen Auszug ihrer Ergebnisse 
enthält der fünfzehnte Vortrag meiner "Natürlichen 
Schöpfungsgeschichte". Während die hier entwickelten 
Anschauungen von der großen Mehrzahl der Naturforscher 
gegenwärtig angenommen sind, ist doch neurdings von mehreren 
Seiten der Versuch gemacht worden, dieselben zu bekämpfen und 
den alten Gegensatz von zwei verschiedenen Natur-Gebieten aufrecht zu 
erhalten. Den konsequentesten Versuch enthält das kürzlich 
erschienene Werk des Botanikers Reinke: "Die Welt als That". 
Dasselbe vertritt in lobenswerther Klarheit und Konsequenz den 
reinen kosmologischen Dualismus und beweist damit selbst, wie 
gänzlich unhaltbar die damit verknüpfte teleologische 
Weltanschauung ist. In dem ganzen Gebiete der anorganischen Natur 
sollen danach nur physikalische und chemische Kräfte wirken, in 
demjenigen der organischen Natur daneben noch "intelligente 
Kräfte", die Richtkräfte oder Dominanten. Nur im ersteren 
Gebiete soll das Substanz-Gesetz Geltung haben, im letzeren nicht. In der 
Hauptsache handelt es sich auch hier wieder um den uralten Gegensatz 
der mechanischen und teleologischen Weltanschauung. 
Bevor wir auf denselben eingehen, wollen wir kurz auf zwei andere 
Theorien hinweisen, welche nach meiner Ueberzeugung für die 
Entscheidung dieser wichtigen Probleme sehr werthvoll sind, die 
Kohlenstoff-Theorie und die Urzeugungs-Lehre.
 Kohlenstoff-Theorie(Karbogon-Theorie). Die 
physiologische Chemie hat im Laufe der letzten vierzig Jahre durch 
unzählige Analysen folgende fünf Thatsachen festgestellt: 1. 
In den organischen Naturkörpern kommen keine anderen 
Elemente vor als in den anorganischen. II. Diejenigen Verbindungen der 
Elemente, welche dem Organismus eigenthümlich sind, und welche 
ihre "Lebenserscheinungen" bewirken, sind zusammengesetzte Plasma-Körper,
aus der Gruppe der Albuminate oder Eiweiß-Verbindungen. III. Das
organische Leben selbst ist ein chemisch-physikalischer Proceß, der auf
dem Stoffwechsel dieser 
plasmatischen Albuminate beruht. IV. Dasjenige Element, welches allein 
im Stande ist, diese zusammengesetzten Eiweißkörper in 
Verbindung mit anderen Elementen (Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, 
Schwefel) aufzubauen, ist der Kohlenstoff. V. Diese plasmatischen 
Kohlenstoff-Verbindungen zeichnen sich vor den meisten anderen 
chemischen Verbindungen durch ihre sehr komplicirte Molekular-Struktur aus,
durch ihre Unbeständigkeit und ihren gequollenen 
Aggregat-Zustand. Auf Grund dieser fünf fundamentalen 
Thatsachen stellte ich im Jahre 1866 folgende Karbogen-Theorie 
auf: "Lediglich die eigenthümlichen, chemisch-physikalischen 
Eigenschaften des Kohlenstoffs - und namentlich der festflüssige 
Aggregatzustand und die leichte Zersetzbarkeit der höchst 
zusammengesetzten, eiweißartigen Kohlenstoff-Verbindungen - 
sind die mechanischen Ursachen jener eigenthümlichen 
Bewegungs-Erscheinungen, durch welche sich die Organismen von den 
Anorganen unterscheiden, und die man im engeren Sinne das Leben 
nennt" (Natürl. Schöpfungsgesch. X. Aufl., S. 357). Obwohl 
diese "Kohlenstoff-Theorie" von mehreren Biologen heftig angegriffen 
worden ist, hat doch bisher Keiner eine bessere monistische Theorie an 
deren Stelle gesetzt. Heute, wo wir die physiologischen 
Verhältnisse des Zellenlebens, die Chemie und Physik des 
lebendigen Plasma viel besser und gründlicher kennen als vor 36 
Jahren, läßt sich die Karbogen-Theorie viel eingehender und 
sicherer begründen, als es damals möglich war.
 Archigonie oder Urzeugung.Der alte Begriff der 
Urzeugung (Generatio spontanea oder aequivoca) 
wird heute noch in sehr verschiedenem Sinne verwendet; gerade die 
Unklarheit über diesen Begriff und die widersprechende 
Anwendung desselben auf ganz verschiedene, alte und neue Hypothesen 
sind schuld daran, daß dieses wichtige Problem zu den 
bestrittendsten und konfusesten Fragen der ganzen Naturwissenschaft 
bis auf den heutigen Tag gehört. Ich beschränke den Begriff 
der Urzeugung - als Archigonie oder Abiogenesis! - auf die 
erste Entstehung von lebendem Plasma aus anorganischen Kohlenstoff-Verbindungen
und unterscheide als zwei Haupt-Perioden in diesem 
"Beginn der Biogenesis" I. die Autogonie, die Entstehung 
von einfachsten Plasma-Körpern in einer anorganischen 
Bildungsflüssigkeit, und II. die Plasmogonie, die 
Individualisirung von primitivsten Organismen aus jenen Plasma-Verbindungen, in
Form von Moneren. Ich habe diese wichtigen, 
aber auch sehr schwierigen Probleme im 15. Kapitel meiner 
Natürlichen Schöpfungsgeschichte so eingehend behandelt, 
daß ich hier darauf verweisen kann. Eine sehr ausführliche 
und streng wissenschaftliche Erörterung derselben habe ich 
bereits 1866 in der "Generellen Morphologie" gegeben (Bd. I, S. 167-190);
später hat Naegeli in seiner Mechanisch-physiologischen Theorie der
Abstammungslehre (1884) die Hypothese 
der Urzeugung ganz in demselben Sinne sehr eingehend behandelt und 
als eine unentbehrliche Annahme der natürlichen 
Entwickelungs-Theorie bezeichnet. Ich stimme vollkommen seinem 
Satze bei: "Die Urzeugung leugnen heißt das Wunder 
verkünden."
 Teleologie und Mechanik.Sowohl die Hypothese der Urzeugung 
als die eng damit verknüpfte Kohlenstoff-Theorie besitzen die 
größte Bedeutung für die Entscheidung des alten 
Kampfes zwischen der teleologischen (dualistischen) und der 
mechanischen (monistischen) Beurtheilung der Erscheinungen. 
Seit Darwin uns vor vierzig Jahren durch seine Selektions-Theorie
den Schlüssel zur monistischen Erklärung der 
Organisation in die Hand gab, sind wir in den Stand gesetzt, die bunte 
Mannigfaltigkeit der zweckmäßigen Einrichtungen in der 
lebendigen Körperwelt ebenso auf natürliche mechanische 
Ursachen zurückzuführen, wie dies vorher nur in der 
anorganischen Natur möglich war. Die übernatürlichen 
zweckthätigen Ursachen, zu welchen man früher seine 
Zuflucht hatte nehmen müssen, sind dadurch 
überflüssig geworden. Trotzdem fährt die moderne 
Metaphysik fort, die letzteren als unentbehrlich und die ersteren als 
unzureichend zu bezeichnen.
 Werkursachen (Causae efficientes)undEndursachen 
(Causae finales).Den tiefen Gegensatz zwischen den 
bewirkenden Ursachen (oder Werkursachen) und den 
zweckthätigen Ursachen (oder Endursachen) hat mit Bezug auf die 
Erklärung der Gasammtnatur kein neuerer Philosoph 
schärfer hervorgehoben, als Immanuel Kant. In seinem 
berühmten Jugendwerke, der "Allgemeinen Naturgeschichte und 
Theorie des Himmels", hatte er 1755 den kühnen Versuch 
unternommen, "die Verfassung und den mechanischen Ursprung des 
ganzen Weltgebäudes nach Newton'schen 
Grundsäzten abzuhandeln". diese "kosmologische Gastheorie" 
stützte sich ganz auf die mechanischen Bewegungs-Erscheinungen 
der Gravitation; sie wurde später von dem großen 
Astronomen und Mathmatiker Laplace weiter ausgebildet und 
mathematisch begründet. Als dieser von Napoleon I. gefragt 
wurde, welche Stelle in seinem System Gott, der Schöpfer und 
Erhalter des Weltalls, einnehme, antwortete er klar und ehrlich: "Sire, 
ich bedarf dieser Hypothese nicht." Damit war der atheistische 
Charakter dieser mechanischen Kosmogenie, den sie mit allen 
anorganischen Wissenschaften theilt, offen anerkannt. Dies muß 
um so mehr hervorgehoben werden, als die Kant-Laplace'sche 
Theorie noch heute ein  fast allgemeiner Geltung steht; alle Versuche, sie 
durch eine bessere zu ersetzen, sind fehlgeschlagen. Wenn man den 
Atheismus noch heute in weiten Kreisen als einen schweren 
Vorwurf betrachtet, so trifft dieser die gesammte moderne 
Naturwissenschaft, insofern sie die anorganische Welt unbedingt 
mechanisch erklärt.
Der Mechanismus allein (im Sinne Kant's!) giebt uns eine 
wirkliche Erklärung der Natur-Erscheinungen, indem er 
dieselben auf reale Werkursachen zurückführt, auf blinde 
und bewußtlos wirkende Bewegungen, welche durch die materielle 
Konstitution der betreffenden Naturkörper selbst bedingt sind. 
Kant selbst betont, daß es "ohne diesen Mechanismus der 
Natur keine Naturwissenschaft geben kann", und daß die 
Befugniß der menschlichen Vernunft zur mechanischen 
Erklärung aller Erscheinungen unbeschränkt sei. Als 
er aber später in seiner Kritik der teleologischen Urtheilkraft die 
Erklärung der verwickelten Erscheinungen in der 
organischen Natur besprach, behauptete er, daß dafür 
jene mechanischen Ursachen nicht ausreichend seien; hier müsse 
man zweckmäßig wirkende Endursachen zu Hülfe 
nehmen. Zwar sei auch hier die Befugniß unserer Vernunft zur 
mechanischen Erklärung anzuerkennen, aber ihr 
Vermögen sei begrenzt. Allerdings gestand er ihr theilweise 
dieses Vermögen zu, aber für den größten Theil 
der Lebenserscheinungen (und besonders für die 
Seelenthätigkeit des Menschen) hielt er die Annahme von 
Endursachen unentbehrlich. Der merkwürdige ¤79 der Kritik der 
Urtheilskraft trägt die charakteristische Ueberschrift: "Von der 
nothwendigen Unterordnung des Princips des Meschanismus unter das 
teleologische in Erklärung eines Dinges als Naturzweck". Die 
zweckmäßigen Einrichtungen im Körperbau der 
organischen Wesen schienen Kant ohne Annahme 
übernatürlicher Endursachen (d. h. also einer 
planmäßig wirkenden Schöpferkraft) so 
unerklärlich, daß er sagte: "Es ist ganz gewiß, daß 
wir die organisirten Wesen und deren innere Möglichkeit nach 
bloß mechanischen Principien der Natur nicht einmal zureichend 
kennen, viel weniger uns erklären können, und zwar so 
gewiß, daß man dreist sagen kann: Es ist für Menschen 
ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen oder rzuhoffen, 
daß noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, 
der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die 
keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde, sondern man 
muß diese Einsicht dem Menschen schlechterdings absprechen. 
Siebenzig Jahre später ist dieser unmögliche "Newton 
der organischen Natur" in Darwin wirklich erschienen und hat die 
große Aufgabe gelöst, die Kant für 
unlösbar erklärt hatte. (Vergl. Anm. 3, S. 158.) 
 Der Zweck in der anorganischen Natur(anorganische 
Teleologie). Seitdem Newton (1682) das Gravitations-Gesetz 
aufgestellt, und seitdem Kant (1755) "die Verfassung und den 
mechanischen Ursprung des ganzen Weltgebäudes nach 
Newton'schen Grundsätzen" festgestellt - seitdem endlich 
Laplace (1796) dieses Grundgesetz des Weltmechanismus 
mathematisch begründet hatte, sind die sämmtlichen 
anorganischen Naturwissenschaften rein mechanisch und damit 
zugleich rein atheistisch geworden. In der Astronomie und 
Kosmogenie, in der Geologie und Meteorologie, in der anorganischen 
Physik und Chemie gilt seitdem die absolute Herrschaft mechanischer 
Gesetze auf mathematischer Grundlage als unbedingt feststehend. 
Seitdem ist aber auch der Zweckbegriff aus diesem ganzen 
großen Gebiete verschwunden. Jetzt, am Schlusse unseres 
neunzehnten Jahrhunderts, wo diese monistische Betrachtung nach 
harten Kämpfen sich zu allgemeiner Geltung durchgerungen hat, 
fragt kein Naturforscher mehr im Ernste nach dem Zweck irgend einer 
Erscheinung in diesem ganzen unermeßlichen Gebiete. Oder sollte 
wirklich noch heute im Ernste ein Astronom nach dem Zwecke der 
Planeten-Bewegungen oder ein Mineraloge nach dem Zwecke der 
einzelnen Kristallformen fragen? Oder sollte ein Physiker über den 
Zweck der elektrischen Kräfte oder ein Chemiker über den 
Zweck der Atom-Gewichte grübeln? Wir dürfen getrost 
antworten: Nein! Sicher nicht in dem Sinne, daß der "liebe 
Gott" oder eine zielstrebige Naturkraft diese Grundgesetze des 
Weltmechanismus einmal plötzlich "aus nichts" zu einem 
bestimmten Zweck erschaffen hat, und daß er sie nach seinem 
vernünftigen Willen tagtäglich wirken läßt. Diese 
anthropomorphe Vorstellung von einem zweckthätigen 
Weltbaumeister und Weltherrscher ist hier völlig 
überwunden; an seiner Stelle sind die "ewigen, ehernen, 
großen Naturgesetze" getreten.
 Der Zweck in der organischen Natur(biologische 
Teleologie). Eine ganz andere Bedeutung und Geltung als in der 
anorganischen besitzt der Zweckbegriff noch heute in der 
organischen Natur. Im Körperbau und in der 
Lebensthätigkeit aller Organismen tritt uns die 
Zweckthätigkeit unleugbar entgegen. Jede Pflanze und jedes Thier 
erscheinen in der Zusammensetzung aus einzelnen Theilen ebenso 
für einen bestimmten Lebenszweck eingerichtet wie die 
künstlichen, vom Menschen erfundenen und konstruirten 
Maschinen; und solange ihr Leben fortdauert, ist auch die Funktion der 
einzelnen Organe ebenso auf bestimmte Zwecke gerichtet wie die Arbeit 
in den einzelnen Theilen der Maschine. Es ist daher ganz 
naturgemäß, daß die ältere naive 
Naturbetrachtung für die Entstehung und die 
Lebensthätigkeit der organischen Wesen einen Schöpfer in 
Anspruch nahm, der mit "Weisheit und Verstand alle Dinge geordnet" 
hatte, und der jedes Thier und jede Pflanze ihrem besonderen 
Lebenzwecke entsprechend organisirt hatte. Gewöhnlich wurde 
dieser "allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erden" 
durchaus anthropomorph gedacht; er schuf "jegliches Wesen nach seiner 
Art". Solange dabei dem Menschen der Schöpfer noch in 
menschlicher Gestalt erschien, denkend mit seinem Gehirn, sehend mit 
seinen Augen, formend mit seinen Händen, konnte man sich von 
diesem "göttlichen Maschinenbauer" und von seiner 
künstlerischen Arbeit in der großen Schöpfungs-Werkstätte
noch eine anschauliche Vorstellung machen. Viel 
schwieriger wurde dies, als sich der Gottesbegriff läuterte und 
man in dem "unsichtbaren Gott" einen Schöpfer ohne Organe (- ein 
gasförmiges Wesen -) erblickte. Noch unbegreiflicher endlich 
wurden diese anthropistischen Vorstellungen, als die Physiologie an die 
Stelle des bewußt bauenden Gottes die unbewußt schaffende 
"Lebenskraft" setzte - eine unbekannte, zweckmäßig 
thätige Naturkraft, welche von den bekannten physikalischen und 
chemischen Kräften verschieden war und diese nur zeitweise - auf 
Lebenszeit - in Dienst nahm. Dieser Vitalismus blieb noch bis in 
die Mitte des 19. Jahrhunderts herrschend; er fand seine 
thatsächliche Widerlegung erst durch den großen 
Physiologen Johannes Müller in Berlin. Zwar war auch 
dieser gewaltige Biologe (gleich allen anderen in der ersten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts) im Glauben an die Lebenskraft aufgewachsen und 
hielt sie für die Erklärung der "letzten Lebensursachen" 
für unentbehrlich, aber er führte zugleich in seinem 
klassischen, noch heute unübertroffenen Lehrbuch der Physiologie 
(1833) den indirekten Beweis, daß eigentlich nichts mit ihr 
anzufangen ist. Müller selbst zeigte in einer langen Reihe 
von scharfsinningen Experimenten, daß die meisten 
Lebensthätigkeiten im Organismus des Menschen ebenso wie der 
übrigen Thiere nach physikalischen und chemischen Gesetzen 
geschehen, daß viele von ihnen sogar mathematisch bestimmbar 
sind. Das gilt ebensowohl von den animalen Funktionen der Muskeln 
und Nerven, der niederen und höheren Sinnesorgane, wie von den 
vegetalen Vorgängen bei der Ernährung und dem 
Stoffwechsel, der Verdauung und dem Blutkreisklauf. Räthselhaft 
und ohne die Annahme einer Lebenkraft nicht erklärbar blieben 
eigentlich nur zwei Gebiete, das der höheren 
Seelenthätigkeit (Geistesleben) und das der Fortpflanzung 
(Zeugung). Aber auch auf diesen Gebieten wurden unmittelbar nach 
Müller's Tode solche gewaltige Entdeckungen und 
Fortschritte gemacht, daß das unheimliche "Gespenst der 
Lebenskraft" auch aus diesen letzten Schlupfwinkeln verschwand. Es 
war gewiß ein merkwürdiger chronologischer Zufall, das 
Johannes Müller 1858 in demselben Jahre starb, in 
welchem Charles Darwin die ersten Mittheilungen über 
seine epochemachende Theorie veröffentlichte. Die Selektions-Theorie
des Letzteren beantwortete das große Räthsel, 
vor welchem der Erstere stehen geblieben war: die Frage von der 
Entstehung zweckmäßiger Einrichtungen durch rein 
mechanische Ursachen.
 Der Zweck in der Selektions-Theorie(Darwin 1859). Das 
unsterbliche philosophische Verdienst Darwin's bleibt, wie wir 
schon oft betont haben, ein doppeltes: erstens die Reform der 
älteren, 1809 von Lamarck begründeten 
Descendenz-Theorie, ihre Begründung durch das gewaltige, 
im Laufe dieses halben Jahrhunderts angesammelte Thatsachen-Material - und
zweitens die Aufstellung der Selektions-Theorie, 
jener Zuchtwahllehre, welche uns erst eigentlich die wahren 
bewirkenden Ursachen der allmählichen Art-Umbildung 
enthüllt. Darwin zeigte zuerst, wie der gewaltige "Kampf 
um's Darsein" der unbewußt wirkende Regulator ist, welcher 
die Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung bei der 
allmählichen Transformation der Species leitet; er ist der 
große "züchtende Gott", welcher ohne Absicht neue 
Formen ebenso durch "natürliche Auslese" bewirkt, wie der 
züchtende Mensch neue Formen mit Absicht durch 
"künstliche Auslese" hervorbringt. Damit wurde das große 
philosophische Räthsel gelöst: "Wie können 
zweckmäßige Einrichtungen rein mechanisch entsthen, ohne 
zweckmäßige Ursachen?" Kant hat dieses schwierige 
Welträthsel noch für unlösbarer erklärt, obwohl 
schon mehr als 2000 Jahre früher der große Denker 
Empedokles auf den Weg seiner Lösung hingewiesen hatte. 
Neuerdings hat sich aus derselben das Princip der "teleologischen 
Mechanik" zu immer größerer Geltung entwickelt und hat 
auch die feinsten und verborgensten Einrichtungen der organischen 
Wesen uns durch die "funktionelle Selbstgestaltung der 
zweckmäßigen Struktur" mechanisch erklärt. Damit ist 
aber der transcendente Zweckbegriff unserer teleologischen Schul-Philosophie
beseitigt, das größte Hinderniß einer 
vernünftigen und einheitlichen Natur-Auffassung.
 Neovitalismus.In neuester Zeit ist das alte Gespenst der 
mystischen Lebenskraft, das gründlich getödtet schien, 
wieder aufgelebt; verschiedene angesehene Biologen haben versucht, 
dasselbe unter neuem Namen zur Geltung zu bringen. Die klarste und 
konsequenteste Darstellung desselben hat kürzlich der Kieler 
Botaniker  J. Reinke gegeben. Er vertheidigt den Wunderglauben 
und den Theismus, die Mosaische 
Schöpfungsgeschichte und die Konstanz der Arten; er nennt 
die "Lebenskräfte", im Gegensatze zu den physikalischen 
Kräften, Richtkräfte, Oberkräfte oder 
Dominanten. Andere nehmen statt dessen, in ganz 
anthropistischer Auffassung, einen "Maschinen-Ingenieur" an, 
welcher der organischen Substanz eine zweckmäßige, auf ein 
bestimmtes Ziel gerichtete Organisation beigegeben habe. Diese 
seltsamen teleologischen Hypothesen bedürfen heute ebenso 
wenig mehr einer wissenschaftlichen Widerlegung, als die naiven, 
meistens damit verknüpften Einwürfe gegen den 
Darwinismus.
 Unzweckmäßigkeitslehre(Dysteleologie). 
Unter diesem Begriffe habe ich schon im 1866 die Wissenschaft von 
denjenigen, überaus interessanten und wichtigen biologischen 
Thatsachen aufgestellt, welche in handgreiflichster Weise die 
hergebrachte teleologische Auffassung von der 
"zweckmäßigen Einrichtung der lebendigen 
Naturkörper" direkt widerlegen. Diese "Wissenschaft von den 
rudimentären, abortiven, verkümmerten, fehlgeschlagenen, 
atrophischen oder kataplastischen Individuen" stützt sich auf eine 
unermeßliche Fülle der merkmürdigsten 
Erscheinungen, welche zwar den Zoologen und Botanikern längst 
bekannt waren, aber erst durch Darwin ursächlich 
erklärt und in ihrer hohen philosophischen Bedeutung 
vollständig gewürdigt worden sind.
Alle höheren Thiere und Pflanzen, überhaupt alle diejenigen 
Organismen, deren Körper nicht ganz einfach gebaut, sondern aus 
mehreren, zweckmäßig zusammenwirkenden Organen 
zusammengesetzt ist, lassen bei aufmerksamer Untersuchung eine 
Anzahl von nutzlosen oder unwirksamen, ja zum Theil sogar 
gefährlichen und schädlichen Einrichtungen erkennen. In 
den Blüthen der meisten Pflanzen finden sich neben den 
wirksamen Geschlechts-Blättern, welche die Fortpflanzung 
vermitteln, einzelne nutzlose Blatt-Organe ohne Bedeutung 
(verkümmerte oder "fehlgeschlagene" Staubfäden, 
Fruchtblätter, Kronen-, Kelchblätter u. s. w.). In den beiden 
großen und formenreichen Klassen der fliegenden Thiere, 
Vögel und Insekten, giebt es neben den gewöhnlichen, ihre 
Flügel täglich gebrauchenden Arten eine Anzahl von 
Formen, deren Flügel verkümmert sind, und die nicht 
fliegen können. Fast in allen Klassen der höheren Thiere, die 
ihre Augen zum Sehen gebrauchen, existiren einzelne Arten, welche im 
Dunkeln leben und nicht sehen; trotzdem besitzen auch diese noch 
meistens Augen; nur sind sie verkümmert, zum Sehen nicht mehr 
tauglich. An unserem eigenen menschlichen Körper besitzen wir 
solche nutzlose Rudimente in den Muskeln unseres Ohres, in der 
Nickhaut unseres Auges, in der Brustwarze und Milchdrüse des 
Mannes und in anderen Körpertheilen; ja der gefürchtete 
Wurmfortsatz unseres Blinddarmes ist nicht nur unnütz, sondern 
sogar gefährlich, und alljährlich geht eine Anzahl Menschen 
durch seine Entzündung zu Grunde. 
Die Erklärung dieser und vieler anderen zwecklosen 
Einrichtungen im Körperbau der Thiere und Pflanzen vermag 
weder der alte mystische Vitalismus noch der neue, ebenso 
irrationelle Neovitalismus zu geben; dagegen finden wir sie sehr 
einfach durch die Descendenz-Theorie. Sie zeigt, daß diese 
rudimentären Organe verkümmert sind, und zwar 
durch Nichtgebrauch. Ebenso, wie die Muskeln, die Nerven, die 
Sinnesorgane durch Uebung und häufigeren Gebrauch 
gestärkt werden, ebenso erleiden sie umgekehrt durch 
Unthätigkeit und unterlassenen Gebrauch mehr oder weniger 
Rückbildung. Aber obgleich so durch Uebung und Anpassung die 
höhere Entwicklung der Organe gefördert wird, so 
verschwinden sie doch keineswegs sofort spurlos durch 
Nichtübung; vielmehr werden sie durch die Macht der Vererbung 
noch während vieler Generationen erhalten und verschwinden 
erst allmählich nach längerer Zeit. Der blinde "Kampf um's 
Dasein zwischen den Organen" bedingt ebenso ihren historischen 
Untergang, wie er ursprünglich ihre Entstehung und Ausbildung 
verurschte. Ein immanenter "Zweck" spielt dabei überhaupt keine 
Rolle. 
 Unvollkommenheit der Natur.. Wie das Menschen-Leben so 
bleibt auch das Thier- und Pflanzen-Leben immer und überall 
unvollkommen. Diese Thatsache ergiebt sich einfach aus der 
Erkenntniß, daß die Natur - ebenso die organische und die 
anorganische - in einem beständigen Flusse der 
Entwickelung, der Veränderung und Umbildung begriffen 
ist. Diese Entwickelung erscheint uns im Großen und Ganzen - 
wenigstens soweit wir die Stammesgeschichte der organischen Natur auf 
unserem Planeten übersehen können - als eine 
fortschreitende Umbildung, als ein historischer Fortschritt vom 
Einfachen zum Zusammengesetzten, vom Niederen zum Höheren, 
vom Unvollkommenen zum Vollkommenen. Ich habe schon in der 
Generellen Morphologie (1866) den Nachweis geführt, daß 
dieser historische Fortschritt (Progressus) - oder die 
allmähliche Vervollkommnung (Teleosis) - die 
nothwendige Wirkung der Selektion ist, nicht aber die Folge eines 
vorbedachten Zweckes. Das ergiebt sich auch daraus, daß kein 
Organismus ganz vollkommen ist; selbst wenn er in einem gegebenen 
Augenblicke den Umständen vollkommen angepaßt 
wäre, würde dieser Zustand nicht lange dauern; denn die 
Existenz-Bedingungen der Außenwelt sind selbst einem 
beständigen Wechsel unterworfen und bedingen damit eine 
ununterbrochene Anpassung der Organismen.
 Zielstrebigkeit in den organischen Körpern insbesondere.Unter diesem Titel veröffentlichte der berühmte 
Embryologie Karl Ernst Baer 1876 einen Aufsatz, der im 
Zusammenhang mit dem nachfolgenden Artikel über 
Darwin's Lehre den Gegnern derselben sehr willkommen erschien 
und auch heute noch vielfach gegen die moderne Entwickelungstheorie 
verwerthet wird. Zugleich erneuerte er die alte teleologische 
Naturbetrachtung unter einem neuen Namen; dieser muß hier 
einer kurzen Kritik unterzogen werden. Vorauszuschicken ist dabei der 
Hinweis, daß Baer zwar ein Naturphilosoph im besten Sinne 
war, daß aber seine ursprünglichen monistischen 
Anschauungen mit zunehmendem Alter immer mehr durch einen tiefen 
mystischen Zug beeinflußt und zuletzt rein dualistisch 
wurden. In seinem grundlegenden Hauptwerke "über 
Entwickelungsgeschichte der Thiere" (1828), das er selbst als 
"Beobachtung und Reflexion" bezeichnet, sind diese beiden 
Erkenntnißthätigkeiten gleichmäßig verwerthet. 
Durch sorgfältigste Beobachtung aller einzelnen Vorgänge 
bei der Entwickelung des thierischen Eies gelangte Baer zur 
ersten zusammenhängenden Darstellung aller der wunderbaren 
Umbildungen, welche bei der Entstehung des Wirbelthier-Körpers 
aus der einfachen Eikugel sich abspielen. Durch umsichtige Vergleichung 
und scharfsinnige Reflexion suchte er aber zugleich die Ursachen jener 
Transformation zu erkennen und sie auf allgemeine Bildungsgesetze 
zurückzuführen. Als allgemeinstes Resultat derselben sprach 
er den Satz aus: "Die Entwickelungsgeschichte des Individuum ist die 
Geschichte der wachsenden Individualität in jeglicher Beziehung." 
Dabei betonte er daß "der Eine Grundgedanke, der alle 
einzelnen Verhältnisse der thierischen Entwickelung beherrscht, 
derselbe ist, der im Weltraum die vertheilte Masse in Sphären 
sammelte und diese zu Sonnensystemen verband. Dieser Gedanke ist 
aber nichts als das Leben selbst, und die Worte und Silben, in 
denen er sich ausspricht, sind die verschiedenen Formen des 
Lebendigen".
Zu einer tieferen Erkenntniß dieses genetischen Grundgedankens 
und zur klaren Einsicht in die wahren bewirkenden Ursachen der 
organischen Entwickelung vermochte Baer damals nicht zu 
gelangen, weil sein Studium ausschließlich der einen Hälfte 
der Entwickelungsgeschichte gewidmet war, derjenigen der 
Individuen, der Embryologie oder im weiteren Sinne der 
Ontogenie. Die andere Hälfte derselben, die 
Entwickelungsgeschichte der Stämme und Arten, unsere 
Stammesgeschichte oder Phylogenie, existirte damals noch nicht, 
obwohl der weitschauende Lamarck schon 1809 den Weg zu 
derselben gezeigt hatte. Ihre spätere Begründung durch 
Darwin (1859) vermochte der gealterte Baer nicht mehr zu 
verstehen; der nutzlose Kampf, den er gegen dessen Selektions-Theorie 
führte, zeigt klar, daß er weder deren eigentlichen Sinn noch 
ihre philosophische Bedeutung erkannte. Teleologische und später 
damit verknüpfte theosophische Spekulationen hatten den alten 
Baer unfähig gemacht, diese größte Reform der 
Biologie gerecht zu würdigen; die teleologischen Betrachtungen, 
welche er gegen sie in seinen "Reden und Studien" (1876) als 
84jähriger Greis in's Feld führte, sind nur Wiederholugen 
von ähnlichen Irrthümern, wie sie die 
Zweckmäßigkeits-Lehre der dualistischen Philosophie seit 
mehr als zweitausend Jahren gegen die mechanistische oder monistische 
Weltanschauung aufgeführt hatte. Der "zielstrebige 
Gedanke", welcher nach Baer's Vorstellung die ganze 
Entwickelung des Thierkörpers aus der Eizelle bedingt, ist nur ein 
anderer Ausdruck für die ewige "Idee" von Plato 
und für die "Entelechie" seines Schülers 
Aristoteles. 
Unsere moderne Biogenie erklärt dagegen die embryologischen 
Thatsachen rein physiologisch, indem sie als bewirkende mechanische 
Ursachen derselben die Funktionen der Vererbung und Anpassung 
erkennt. Das biogenetische Grundgesetz, für welches 
Baer kein Verständniß gewinnen konnte, 
eröffnet uns den innigen kausalen Zusammenhang zwischen der 
Ontogenese der Individuen und der Phylogenese ihrer 
Vorfahren; die erstere erscheint uns jetzt als eine erbliche 
Rekapitulation der letzteren. Nun können wir aber in der 
Stammesgeschichte der Thiere und Pflanzen nirgends eine 
Zielstrebigkeit erkennen, sondern lediglich das nothwendige Resultat des 
gewaltigen Kampfes um's Dasein, der als blinder Regulator, nicht als 
vorsehender Gott, die Umbildung der organischen Formen durch 
Wechselwirkung der Anpassungs- und Vererbungsgesetze bewirkt. 
Ebenso wenig können wir aber auch bewußte 
"Zielstrebigkeit" in der Keimesgeschichte der Individuen annehmen, in 
der Embryologie der einzelnen Pflanzen, Thiere und Menschen. Denn 
diese Ontogenie ist ja nur ein kurzer Auszug aus jener Phylogenie, eine 
abgekürzte und gedrängte Wiederholung derselben durch 
die physiologischen Gesetze der Vererbung. 
Das Vorwort zu seiner klassischen "Entwickelungsgeschichte der Thiere" 
schloß Baer 1828 mit den Worten: "Die Palme wird der 
Glückliche erringen, dem es vorbehalten ist, die bildenden 
Kräfte des thierischen Körpers auf die allgemeinen 
Kräfte oder Lebensrichtungen des Weltganzen 
zurückzuführen. Der Baum aus welchem seine Wiege 
gezimmert werden soll, hat noch nicht gekeimt." - Auch darin irrte der 
große Embryologe. In demselben Jahre 1828 bezog der junge 
Charles Darwin die Universität Cambridge, um Theologie (!) 
zu studiren, der gewaltige "Glückliche", der die Palme dreißig 
Jahre später durch seine Selektions-Theorie wirklich errang. 
 Sittliche Weltordnung.In der Philosophie der Geschichte, in 
den allgemeinen Betrachtungen, welche die Geschichtsschreiber 
über die Schicksale der Völker und über den 
verschlungenen Gang der Staatenentwickelung anstellen, herrscht noch 
heute die Annahme einer "sittlichen Weltordnung". Die Historiker 
suchen in dem bunten Wechsel der Völker-Geschicke einen 
leitenden Zweck, eine ideale Absicht, welche diese oder jene Rasse, 
diesen oder jenen Staat zu besonderem Gedeihen auserlesen und zur 
Herrschaft über die anderen bestimmt hat. Diese teleologische 
Geschichtsbetrachtung ist neuerdings umso schärfer in 
principiellen Gegensatz zu unserer monistischen Weltanschauung 
getreten, je sicherer sich diese letztere im gesammten Gebiete der 
organischen Natur als die allein berechtigte herausgestellt hat. In der 
gesammten Astronomie und Geologie, in dem weiten Gebiete der Physik 
und Chemie spricht heute Niemand mehr von einer sittlichen 
Weltordnung, ebenso wenig als von einem persönlichen Gotte, 
dessen "Hand mit Weisheit und Verstand alle Dinge geordnet hat". 
Dasselbe gilt aber auch von dem gesammten Gebiete der Biologie, von 
der ganzen Verfassung ud Geschichte der organischen Natur, 
zunächst den Menschen ausgenommen. Darwin hat uns in 
seiner Selektions-Theorie nicht nur gezeigt, wie die 
zweckmäßigen Einrichtungen im Leben und im 
Körperbau der Thiere und Pflanzen ohne vorbedachten Zweck 
mechanisch entstanden sind, sondern er hat uns auch in seinem 
"Kampf um's Dasein" die gewaltige Naturmacht erkennen gelehrt, 
welche den ganzen Entwickelungsgang der organischen Welt seit vielen 
Jahrmillionen ununterbrochen beherrscht und regelt. Man könnte 
freilich sagen: Der "Kampf um's Dasein" ist das "Ueberleben des 
Passendsten" oder der "Sieg des Besten"; das kann man aber nur, wenn 
man das Stärkere stets als das Beste (in moralischem Sinne!) 
betrachtet; und überdies zeigt uns die ganze Geschichte der 
organischen Welt, daß neben dem überwiegenden Fortschritt 
zum Vollkommenen jeder Zeit auch einzelne Rückschritte zu 
niederen Zuständen vorkommen. Selbst die "Zielstrebigkeit" im 
Sinne Baer's trägt durchaus keinen moralischen 
Charakter!
Verhält es sich nun in der Völkergeschichte, die der Mensch 
in seinem anthropocentrischen Größenwahn die 
"Weltgeschichte" zu nennen liebt, etwa anders? Ist da überall und 
jeder Zeit ein höchstes moralisches Princip oder ein weiser 
Weltregent zu entdecken, der die Geschicke der Völker leitet? Die 
unbefangene Antwort kann heute, bei dem vorgeschrittenen Zustande 
unserer Naturgeschichte und Völkergeschichte nur lauten: 
Nein! Die Geschicke der Zweige des Menschengeschlechts, die als 
Rassen und Nationen seit Jahrtausenden um ihre Existenz und ihre 
Fortbildung gerungen haben, unterliegen genau denselben "ewigen, 
ehernen, großen Gesetzen" wie die Geschichte der ganzen 
organischen Welt, die seit vielen Jahrmillionen die Erde bevölkert. 
Die Geologen unterscheiden in der "organischen Erdgeschichte", soweit 
sie uns durch die Denkmäler der Versteinerungskunde bekannt 
ist, drei große Perioden: das primäre, sekundäre und 
tertiäre Zeitalter. Die Zeitdauer der ersteren soll nach einer 
neueren Berechnung mindestens 34 Millionen, die der zweiten 11, die 
der dritten 3 Millionen Jahre betragen haben (- nach anderen 
Berechnungen mehr als das Dreifache dieser Zeit! -). Die Geschichte des 
Wirbelthier-Stammes, aus dem unser eigenes Geschlecht entsprossen ist, 
liegt innerhalb dieses langen Zeitraumes klar vor unseren Augen; drei 
verschiedene Entwickelungsstufen der Vertebraten waren in jenen drei 
großen Periode successiv entwickelt; in der primären 
(paläozoischen) Periode die Fische, in dem 
sekundären (mesozoischen) Zeitalter die Reptilien, in 
dem tertiären (cänozoischen) die 
Säugethiere. Von diesen drei Hauptgruppen der 
Wirbelthiere nehmen die Fische den niedersten, die Reptilien einen 
mittleren, die Säugethiere den höchsten Rang der 
Vollkommenheit ein. Bei tieferem Eingehen in die Geschichte der drei 
Klassen finden wir, daß auch die einzelnen Ordnungen und 
Familien derselben innerhalb der drei Zeiträume sich 
fortschreitend zu höherer Vollkommenheit entwickelten. Kann 
man nun diesen fortschreitenden Entwickelungsgang als Ausfluß 
einer bewußten zweckmäßigen Zielstrebigkeit oder 
einer sittlichen Weltordnung bezeichnen? Durchaus nicht! Denn die 
Selektions-Theorie lehrt uns, daß der organische Fortschritt, 
ebenso wie die organische Differenzierung, eine nothwendige 
Folge des Kampfes um's Dasein ist. Tausende von guten, 
schönen, bewunderungswürdigen Arten des Thier- und 
Pflanzenreiches sind im Laufe jener 48 Millionen Jahre zu Grunde 
gegangen, weil sie anderen, stärkeren Platz machen mußten, 
und diese Sieger im Kampfe um's Dasein waren nicht immer die edleren 
oder im moralischen Sinne vollkommneren Formen. 
Genau dasselbe gilt von der Völkergeschichte. Die 
bewunderungswürdige Kultur des klassischen Alterthums ist zu 
Grunde gegangen, weil das Christenthum dem ringenden 
Menschengeiste damals durch den Glauben an einen liebenden Gott und 
die Hoffnung auf ein besseres jenseitiges Leben einen gewaltigen neuen 
Aufschwung verlieh. Der Papismus wurde zwar bald zur schamlosen 
Karikatur des reinen Christenthums und zertrat schonungslos die 
Schätze der Erkenntniß, welche die hellenische Philosophie 
schon erworben hatte; aber er gewann die Weltherrschaft durch die 
Unwissenheit der blindgläubigen Massen. Erst die 
Reformation zerriß die Ketten dieser Geistes-Knechtschaft und 
verhalf wieder den Ansprüchen der Vernunft zu ihrem Rechte. 
Aber auch in dieser neuen wie in jenen früheren Perioden der 
Kulturgeschichte, wogt ewig der große Kampf um's Dasein hin und 
her, ohne jede moralische Ordnung. 
 Vorsehung.So wenig bei unbefangener und kritischer 
Betrachtung eine "moralische Weltordnung" im Gange der 
Völkergeschichte nachzuweisen ist, ebenso wenig können 
wir eine "weise Vorsehung" im Schicksal der einzelnen Menschen 
anerkennen. Dieses wie jener wird mit eiserner Nothwendigkeit durch 
die mechanische Kausalität bestimmt, welche jede Erscheinung aus 
einer oder mehreren vorhergehenden Ursachen ableitet. Schon die alten 
Hellenen erkannten als höchstes Weltprincip die Ananke, 
die blinde Heimarmene, das Fatum, das "Götter und 
Menschen beherrscht". An ihre Stelle trat im Christenthum die 
bewußte Vorsehung, welche nicht blind, sondern sehend ist, und 
welche die Weltregierung als patriarchalischer Herrscher führt. 
Der anthropomorphe Charakter dieser Vorstellung, die sich 
gewöhnlich mit derjenigen des "persönlichen Gottes" eng 
verknüpft, liegt auf der Hand. Der Glaube an einen "liebenden 
Vater", der die Geschicke von 1500 Millionen Menschen auf unserem 
Planeten unablässig lenkt und dabei die millionenfach sich 
kreuzenden Gebete und "frommen Wünsche" derselben jederzeit 
berücksichtigt, ist vollkommen unhaltbar: das ergiebt sich sofort, 
wenn die Vernunft beim Nachdenken darüber die farbige Brille 
des "Glaubens" ablegt.
Gewöhnlich pflegt bei dem modernen Kulturmenschen - geradeso 
wie beim ungebildeten Wilden - der Glaube an die Vorsehung und die 
Zuversicht zum liebenden Vater dann sich lebhaft einzustellen, wenn 
ihm irgend etwas Glückliches begegnet ist: Errettung aus 
Lebensgefahr, Heilung von schwerer Krankheit, Gewinn des großen 
Looses in der Lotterie, Geburt eines lang ersehnten Kindes u. s. w. Wenn 
dagegen irgend ein Unglück passirt oder ein heißer Wunsch 
nicht erfüllt wird, so ist die "Vorsehung" vergessen; der weise 
Weltregent hat dann geschlafen oder seinen Segen verweigert. 
Bei dem ungeheueren Aufschwung des Verkehrs im 19. Jahrhundert hat 
nothwenig die Zahl der Verbrechen und Unglücksfälle in 
einem früher nicht geahnten Maße zugenommen; das 
erfahren wir tagtäglich durch die Zeitungen. In jedem Jahre gehen 
Tausende von Menschen zu Grunde durch Schiffbrüche, Tausende 
durch Eisenbahn-Unglücke, Tausende durch Bergwerks-Katastrophen u. s. w.
Viele Tausende tödten sich alle Jahre 
gegenseitig im Kriege, und die Zurüstung für diesen 
Massenmord nimmt bei den höchstentwickelten, die christliche 
Liebe bekennenden Kultur-Nationen den weitaus größten 
Theil des National-Vermögens in Anspruch. Und unter jenen 
Hunderttausenden, die alljährlich als Opfer der modernen 
Civilisation fallen, befinden sich überwiegend tüchtige, 
thatkräftige, arbeitsame Menschen. Dabei redet man noch von 
sittlicher Weltordnung! Es soll durchaus nicht bestritten werden, 
daß der heute noch herrschende und in den Schulen gelehrte 
Glaube an eine "sittliche Weltordnung" - ebenso wie an eine "liebevolle 
Vorsehung" - einen hohen Ideal-Werth besitzt. Er tröstet 
die Leidenden, stärkt die Schwachen, erhebt im Unglück; er 
befriedigt unser zweifelndes Gemüth und versetzt uns in eine 
Ideal-Welt des "Jenseits", in welcher die Mängel des irdischen 
Daseins im "Diesseits" überwunden sind. So lange der Mensch 
kindlich und unerfahren genug bleibt, mag er sich mit diesen Gebilden 
der Dichtung begnügen. Allein das fortgeschrittene Kultur-Leben 
der Gegenwart reißt ihn gewaltsam aus jener schönen Ideal-Welt heraus
und stellt ihn vor Aufgaben, zu deren Lösung ihn nur 
die vernünftige Erkenntniß der Wirklichkeit befähigt. 
Unzweifelhaft wird die frühzeitige Anpassung an diese Real-Welt,
zweckmäßig in den Unterricht eingeführt und 
auf die moderne Entwickelungslehre gestützt, den höher 
gebildeten Menschen der Zukunft nicht allein vernünftiger und 
vorurtheilsfreier, sondern auch besser und glücklicher machen. 
 Ziel, Zweck und Zufall.Wenn uns unbefangene Prüfung 
der Weltentwickelung lehrt, daß dabei weder ein bestimmtes Ziel 
noch ein besonderer Zweck (im Sinne der menschlichen Vernunft!) 
nachzuweisen ist, so scheint nichts übrig zu bleiben, als Alles dem 
"blinden Zufall" zu überlassen. Dieser Vorwurf ist in der 
That ebenso dem Transformismus von Lamark und 
Darwin wie früher der Kosmogenie von Kant 
und Laplace entgegengehalten worden; viele dualistische 
Philosophen legen gerade hierauf besonders Gewicht. Es verlohnt sich 
daher wohl der Mühe, hier noch einen flüchtigen Blick 
darauf zu werfen.
Die eine Gruppe der Philosophen behauptet nach ihrer 
teleologischen Auffassung: die ganze Welt ist ein geordneter 
Kosmos, in dem alle Erscheinungen Ziel und Zweck haben; es giebt 
keinen Zufall! Die andere Gruppe dagegen meint 
gemäß ihrer mechanistischen Auffassung: Die 
Entwickelung der ganzen Welt ist ein einheitlich mechanischer 
Prozeß, in dem wir nirgends Ziel und Zweck entdecken 
können; was wir im organischen Leben so nennen, ist eine 
besondere Folge der biologischen Verhältnisse; weder in der 
Entwickelung der Weltkörper, noch in derjenigen unserer 
organischen Erdrinde ist ein leitender Zweck nachzuweisen; hier ist 
Alles Zufall! Beide Parteien haben Recht, je nach der Definition 
des "Zufalls". Das allgemeine Kausal-Gesetz, in Verbindung mit 
dem Substanz-Gesetz, überzeugt uns, daß jede Erscheinung 
ihre mechanische Ursache hat; in diesem Sinne giebt es keinen Zufall. 
Wohl aber können und müssen wir diesen unentbehrlichen 
Begriff beibehalten, um damit das Zusammentreffen von zwei 
Erscheinungen zu bezeichnen, die nicht unter sich kausal 
verknüpft sind, von denen aber natürlich jede ihre Ursache 
hat unabhängig von der anderen. Wie Jedermann weiß, spielt 
der Zufall in diesem monistischen Sinne die größte Rolle im 
Leben des Menschen wie in demjenigen aller anderen 
Naturkörper. Das hindert aber nicht, daß wir in jedem 
einzelnen "Zufall" wie in der Entwickelung des Weltganzen die 
universale Herrschaft des umfassendsten Naturgesetzes anerkennen, des 
Substanz-Gesetzes. 
 Inhalt, 
Kapitel
1,
2,
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5,
6,
7,
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11,
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14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
 Copyright 1997. 
Kurt Stüber
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