| Inhalt, 
Kapitel
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,
10,
11,
12,
13,
14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
 Copyright 1997. 
Kurt Stüber
 Zehntes Kapitel
 Bewußtsein der Seele.
Monistische Studien über bewußtes und unbewußtes 
Seelenleben. Entwickelungsgeschichte und Theorie des 
Bewußtseins. 
------ 
Inhalt: Das Bewußtsein als Naturerscheinung. Begriff 
desselben. Schwierigkeiten der Beurtheilung. Sein Verhältniß 
zum Seelenleben. Unser menschliches Bewußtsein. Verschiedene 
Theorien: I. Anthropistische Theorie (Descartes). II. Neurologische 
Theorie (Darwin). III Animalische Theorie (Schopenhauer). IV. 
Biologische Theorie (Fechner). V. Cellulare Theorie (Fritz Schultze). IV. 
Atomistische Theorie. Monistische und dualistische Theorie. 
Transcendenz des Bewußtseins. Ignorabimus (Du Bois-Reymond). 
Physiologie des Bewußtseins. Entdeckung der Denkorgane 
(Flechsig). Pathologie. Doppeltes und intermittirendes Bewußtsein. 
Ontogenie des Bewußtseins; Veränderung in den 
verschiedenen Lebensaltern. Phylogenie des Bewußtseins.
Begriffs-Bildung. 
 
Unter allen Aeußerungen des Seelenlebens giebt es keine, die so 
wunderbar erscheint und so verschieden beurtheilt wird wie das 
Bewußtsein. Nicht allein über das eigentliche Wesen 
dieser Seelenthätigkeit und über ihr Verhältniß 
zum Körper, sondern auch über ihre Verbreitung in der 
organischen Welt, über ihre Entstehung und Entwickelung stehen 
sich noch heute, wie seit Jahrtausenden, die widersprechendsten 
Ansichten gegenüber. Mehr als jede andere psychische Funktion 
hat das Bewußtsein zu der irrthümlichen Vorstellung eines 
"immatierellen Seelenwesens" und im Anschluß daran zu dem 
Aberglauben des "persönlichen Unsterblichkeit" Veranlassung 
gegeben; viele der schwersten Irrthümer, die unser modernes 
Kultur-Leben noch heute beherrschen, sind darauf 
zurückzuführen. Ich habe daher schon früher das 
Bewußtsein als das "psychologische Central-Mysterium" 
bezeichnet; es ist die feste Citadelle aller mystischen und dualistischen 
Irrthümer, an deren gewaltigen Wällen alle Angriffe der 
bestgerüsteten Vernunft zu scheitern drohen. Schon diese 
Thatsache allein rechtfertigt es, daß wir hier dem Bewußtsein 
eine besondere kritische Betrachtung von unserem monistischen 
Standpunkte aus widmen. Wir werden sehen, daß das 
Bewußtsein nicht mehr und nicht minder wie jede andere 
Seelenthätigkeit eine Natur-Erscheinung ist, und daß 
es gleich allen anderen Natur-Erscheinungen dem Substanz-Gesetz
unterworfen ist. 
  Begriff des Bewußtseins.Schon über den 
elementaren Begriff dieser Seelenthätigkeit, über seinen 
Inhalt und Umfang, gehen die Ansichten der angesehensten Philosophen 
und Naturforscher weit aus einander. Vielleicht am besten bezeichnet 
man den Inhalt des Bewußtseins als innere Anschauung und 
vergleicht diese einer Spiegelung. Als zwei Hauptbezirke 
desselben unterscheiden wir das objektive und subjektive 
Bewußtsein, das Weltbewußtsein und Selbstbewußtsein. 
Bei Weitem der größte Theil aller bewußten 
Seelenthätigkeit betrifft, wie schon Schopenhauer richtig 
erkannte, das Bewußtsein der Außenwelt, der "anderen 
Dinge"; dieses Weltbewußtsein umfaßt alle 
möglichen Erscheinungen der Außenwelt, welche 
überhaupt unserer Erkenntniß zugänglich sind. Viel  
beschränkter ist unser Selbstbewußtsein, die innere 
Spiegelung unserer eigenen gesammten Seelenthätigkeit, aller 
Vorstellungen, Empfindungen und Strebungen oder 
Willensthätigkeiten.
 Bewußtsein und Seelenleben. Viele und angesehene 
Denker, namentlich unter den Physiologen (z.B. Wundt und 
Ziehen), halten die Begriffe des Bewußtseins und der 
psychischen Funktionen für identisch: "alle 
Seelenthätigkeit ist bewußte"; das Gebiet des psychischen 
Lebens reicht nur so weit als dasjenige des Bewußtseins. Nach 
unserer Ansicht erweitert diese Definition die Bedeutung des letzteren 
in ungebührlicher Weise und giebt Veranlassung zu zahlreichen 
Irrthümern und Mißverständnissen. Wir theilen 
vielmehr die Ansicht anderer Philosophen (z.B. Romanes, Fritz 
Schultze, Paulsen), daß auch die unbewußten 
Vorstellungen, Empfindungen und Strebungen zum Seelenleben 
gehören; in der That ist sogar das Gebiet der unbewußten 
psychischen Aktionen (der Reflexthätigkeit u. s. w.) viel 
ausgedehnter als dasjenige der bewußten. Beide Gebiete stehen 
übrigens im engsten Zusammenhang und sind durch keine scharfe 
Grenze getrennt; jeder Zeit kann uns eine unbewußte Vorstellung 
plötzlich bewußt werden; wird unsere Aufmerksamkeit 
darauf durch ein anderes Objekt gefesselt, so kann sie ebenso rasch 
wieder unserem Bewußtsein völlig entschwinden.
 Bewußtsen des Menschen.Die einzige Quelle unserer 
Erkenntniß des Bewußtseins ist dieses selbst, und hierin liegt 
in erster Linie die außerordentliche Schwierigkeit seiner 
wissenschaftlichen Untersuchung und Deutung. Subjekt und 
Objekt fallen hier in Eins zusammen; das erkennende Subjekt 
spiegelt sich in seinem eigenen inneren Wesen, welches Objekt der 
Erkenntniß sein soll. Auf das Bewußtsein anderer Wesen 
können wir also niemals mit voller objektiver Sicherheit 
schließen, sondern immer nur durch Vergleichung seiner
Seelen-Zustände mit unseren eigenen. Soweit diese Vergleichung sich nur 
auf normale Menschen erstrekt, können wir allerdings auf 
deren Bewußtsein gewisse Schlüsse ziehen, deren Richtigkeit 
Niemand bezweifelt. Aber schon bei abnormen 
Persönlichkeiten (bei genialen und excentrischen, stumpfsinnigen 
und geisteskranken Menschen) sind diese Analogie-Schlüsse 
entweder unsicher oder falsch. In noch höherem Grade gilt das, 
wenn wir das Bewußtsein des Menschen mit demjenigen der 
Thiere (zunächst der höheren, weiterhin der niederen 
Thiere) in Vergleich stellen. Da ergeben sich alsbald so große 
thatsächliche Schwierigkeiten, daß die Ansichten der 
hervorragendsten Physiologen und Philosophen himmelweit aus 
einander gehen. Wir wollen hier nur die wichtigsten Anschauungen 
darüber kurz einander gegenüberstellen.
 
I.  Anthropistische Theorie des Bewußtseins:es ist dem 
Menschen eigenthümlich. Die weitverbreitete Anschauung, 
daß Bewußtsein und Denken ausschließliches Eigenthum 
des Menschen seien, und daß auch ihm allein eine "unsterbliche 
Seele" zukomme, ist auf Descartes zurückzuführen 
(1643). Dieser geistreiche französische Philosoph und 
Mathematiker (erzogen in einem Jesuiten-Kollegium!) 
begründete eine vollkommene Scheidewand zwischen der 
Seelenthätigkeit des Menschen und der Thiere. Die Seele des 
Menschen als denkendes, immaterielles Wesen ist nach ihm vom 
Körper, als ausgedehntem, materiellem Wesen, vollständig 
getrennt. Trotzdem soll sie an einem Punkte des Gehirns (an der 
Zirbeldrüse!) mit dem Körper verbunden sein, um hier 
Einwirkungen der Außenwelt aufzunehmen und ihrerseits auf den 
Körper auszuüben. Die Thiere dagegen, als nicht 
denkende Wesen, sollen keine Seele besitzen und reine 
Automaten sein, kunstvoll gebaute Maschinen, deren Empfinden, 
Vorstellen und Wollen rein mechanisch zu Stande kommt und nach 
physikalischen Gesetzen verläuft. Für die Psychologie des 
Menschen vertrat demnach Descartes den reinen 
Dualismus, für diejenige der Thiere den reinen 
Monismus. Dieser offenkundige Widerspruch bei einem so klaren 
und scharfsinnigen Denker muß höchst auffallen erscheinen; 
zur Erklärung desselben darf man wohl mit Recht annehmen, 
daß er seine wahre Ueberzeugung verschwieg und deren 
Erkenntniß den selbstständigen Denken überließ. 
Als Zögling der Jesuiten war Descartes schon 
frühzeitig dazu erzogen, wider bessere Einsicht die Wahrheit zu 
verleugnen; vielleicht fürchtete er auch die Macht der Kirche und 
ihre Scheiterhaufen. Ohnehin hatte ihm seine skeptische Forderung, 
daß jedes reine Erkenntnißstreben vom Zweifel am 
überlieferten Dogma ausgehen müse, fanatische Anklagen 
wegen Skepticismus und Atheismus zugezogen. Die mächtige 
Wirkung, welche Descartes auf die nachfolgende Philosophie 
ausübte, war sehr merkwürdig und seiner "doppelten 
Buchführung" entsprechend. Die Materialisten des 17. und 
18. Jahrhunderts beriefen sich für ihre monistische Psychologie 
auf die cartesianische Theorie von der Thierseele und ihrer 
mechanischen Maschinenthätigkeit. Die Spiritualisten 
umgekehrt behaupteten, daß ihr Dogma von der Unsterblichkeit 
der Seele und ihrer Unabhängigkeit vom Körper durch die 
cartesianische Theorie der Menschenseele unwiderleglich 
begründet sei. Diese Ansicht ist auch heute noch im Lager der 
Theologen und der dualistischen Metapysiker die herrschende. Die 
Naturwissenschaftliche Anschauung des 19. Jahrhunderts hat sie mit 
Hülfe der empirischen Fortschritte im Gebiete der physiologischen 
und vergleichenden Psychologie völlig überwunden.
II.  Neurologische Theorie des Bewußtseins:es kommt 
nur dem Menschen und jenen höheren Thieren zu, welche ein 
centralisiertes Nerven-System und Sinnesorgane besitzen. Die 
Ueberzeugung, daß ein großer Theil der Thiere - zum 
mindesten die höheren Säugethiere - ebenso eine denkende 
Seele und also auch Bewußtsein besitzt, wie der Mensch, 
beherrscht die Kreise der modernen Zoologie, der exakten Physiologie 
und der monistischen Psychologie. Die großartigen Fortschritte der 
Neuzeit in mehreren Gebieten der Biologie haben uns 
übereinstimmend zu der Anerkennung dieser bedeutungsvollen 
Erkenntniß geführt. Wir beschränken uns bei ihrer 
Würdigung zunächst auf die höheren 
Wirbelthiere und vor Allem auf die Säugethiere. Daß 
die intelligentesten Vertreter dieser höchst entwickelten 
Vertebraten - Allen voran die Affen und Hunde - in ihrer gesammten 
Seelenthätigkeit sich dem Menschen höchst ähnlich 
verhalten, ist seit Jahrtausenden bekannt und bewundert. Ihre 
Vorstellungs- und Sinnes-Thätigkeit, ihr Empfinden und Begehren 
ist dem menschlichen so ähnlich, daß wir keine Beweise 
dafür anzuführen brauchen. Aber auch die höhere 
Associons-Thätigkeit ihres Gehirns, die Bildung von Urtheilen und 
deren Verbindung zu Schlüssen, das Denken und das 
Bewußtsein im engeren Sinne, sind bei ihnen ähnlich 
entwickelt wie beim Menschen - nur dem Grade, nicht der Art nach 
verschieden. Ueberdies lehrt uns die vergleichende Anatomie und 
Histologie, daß die verwickelte Zusammensetzung des Gehirns 
(sowohl die feinere als die gröbere Struktur) bei diesen 
höheren Säugethieren im Wesentlichen dieselbe wie 
beim Menschen ist. Dasselbe zeigt uns die vergleichende Ontogenie 
bezüglich der Entstehung dieser Seelen-Organe. Die vergleichende 
Physiologie lehrt, daß die verschiedenen Zustände des 
Bewußtseins sich bei diesem höchstentwickelten 
Placentalthieren ganz ähnlich wie beim Menschen verhalten, und 
das Experiment beweist, daß sie auch auf äußere 
Eingriffe ebenso reagiren. Man kann höhere Thiere durch Alkohol, 
Chloroform, Aether u. s. w. ebenso betäuben, durch geeignete 
Behandlung ebenso hypnotisiren u s. w. wie den Menschen. Dagegen ist 
es nicht möglich, die Grenze scharf zu bestimmen, wo auf 
den niederen Stufen des Thierlebens das Bewußtsein zuerst als 
solches erkennbar wird. Die einen Zoologen setzen dieselbe sehr hoch 
oben an, die anderen sehr tief unten. Darwin, der die 
verschiedenen Abstufungen des Bewußtseins, der Intelligenz und 
des Gemüths bei den höheren Thieren sehr genau 
unterscheidet und durch zunehmende Entwickelung erklärt, weit 
zugleich darauf hin, wie schwer oder eigentlich wie unmöglich es 
ist, die ersten Anfänge diese höchsten 
Seelenthätigkeiten bei den niederen Thieren zu bestimmen. Nach 
meiner persönlichen Auffassung dünkt mir unter den 
verschiedenen widersprechenden Theorien am wahrscheinlichsten die 
Annahme, daß das Zustandekommen des Bewußtseins an die 
Centralisation des Nervensystems gebunden ist, die den niederen 
Thierklassen noch fehlt. Die Anwesenheit eines nervösen 
Centralorgans, hoch entwickelte Sinnesorgane und eine weit 
ausgebildete Associon der Vorstellungs-Gruppen scheinen mir 
erforderlich, um das einheitliche Bewußtsein zu 
ermöglichen.
III  Animalische Theorie des Bewußtseins:es findet 
sich bei allen Thieren und nur bei diesen. Hiernach wurde ein 
scharfer Unterschied im Seelenleben der Thiere und Pflanzen bestehen; 
ein solcher wurde schon von vielen alten Autoren angenommen und von 
Linné scharf formulirt in seinem grundlegenden "Systema 
naturae" (1735); die beiden großen Reiche der organischen 
Natur unterscheiden sich nach ihm dadurch, daß die Thiere 
Empfindung und Bewußtsein haben, die Pflanzen nicht. 
Später hat besonders Schopenhauer diesen Unterschied 
scharf betont: "Das Bewußtsein ist bei uns schlechthin nur als 
Eigenschaft animaler Wesen bekannt. Auch  nachdem es sich 
durch die gnaze Thierreihe, bis zum Menschen und seiner Vernunft, 
gesteigert hat, bleibt die Bewußtlosigkeit der Pflanze, von der er 
ausging, noch immer die Grundlage. Die untersten Thiere haben 
bloß eine Dämmerung desselben." Die Unhaltbarkeit dieser 
Ansicht wurde schon um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts klar, 
als man das Seelenleben der niederen Cölenteraten 
(Schwämme und Nesselthiere) näher kennen lernte: echte 
Thiere, die ebenso wenig Spuren von klarem Bewußtsein besitzen 
wie die meisten Pflanzen. Noch mehr wurde der Unterschied zwischen 
den beiden Reichen verwischt, als man die einzelligen Lebensformen 
genauer untersuchte. Die plasmophagen Urthiere (Protozoa) 
und die plasmodomen Urpflanzen (Protophyta) zeigen 
keine psychologischen Unterschiede, auch nicht in Beziehung auf ihr 
fragliches Bewußtsein.
IV.  Biologische Theorie des Bewußtseins:es ist allen 
Organismen gemeinsan, es findet sich bei allen Thieren und 
Pflanzen, während es den anorganischen Naturkörpern 
(Krystallen u. s. w.) fehlt. Diese Annahme wird gewöhnlich mit der 
Ansicht verknüpft, daß alle Organismen (im Gegensatz zu den 
Anorganen) beseelt sind; die drei Begriffe: Leben, Seele und 
Bewußtsein, fließen dann gewöhnlich zusammen. Eine 
andere Modifikation dieser Anschauung ist, daß diese drei 
Grunderscheinungen des organischen Lebens zwar untrennbar 
verknüpft sind, daß aber das Bewußtsein nur ein 
Theil der psychischen Thätigkeit ist, wie diese selbst ein 
Theil der Lebensthätigkeit. Das die Pflanzen in demselben 
Sinne wie die Thiere eine "Seele" besitzen, hat namentlich 
Fechner sich zu zeigen bemüht, und Manche schreiben der 
Pflanzen-Seele ein Bewußtsein von ähnlicher Art zu wie der 
Thier-Seele. In der That sind ja bei sehr empfindlichen 
"Sinnpflanzen" (Mimosa, Drosera, Dionea) die 
auffallenden Reizbewegungen der Blätter, bei manchen anderen 
(Klee und Sauerklee, besonders aber Hedysarum) die autonomen 
Bewegungen bei "schlafenden Pflanzen" (auch vorzugsweise 
Papilionaceen) die Schlafbewegungen u. s. w. auffallend 
ähnlich denjenigen vieler niederen Thiere; wer den letzteren 
Bewußtsein zuschreibt, darf es ganz gewiß auch den ersteren 
nicht absprechen.
V.  Cellulare Theorie des Bewußtseins:es ist eine 
Lebens-Eigenschaft jeder Zelle. Die Anwendung der Zellen-Theorie 
auf alle Zweige der Biologie verlangt auch ihre Verknüpfung mit 
der Psychologie. Mit demselben Rechte, mit dem man in der Anatomie 
und Physiologie die lebendige Zelle als den "Elementar-Organismus" 
behandelt und das ganze Verständniß des höheren, 
vielzelligen Thier- und Pflanzen-Körpers daraus ableitet, mit 
demselben Rechte kann man auch die "Zellseele" als das 
psychologische Element betrachten und die zusammengesetzte 
Seelenthätigkeit der höheren Organismen als das Resultat 
aus dem vereinigten Seelenleben der Zellen, die sie zusammensetzen. 
Ich habe die Grundzüge dieser Cellular-Psychologie schon 
1866 in meiner "Generellen Morphologie" entworfen und sie 
später weiter ausgeführt in meinem Aufsatz über 
"Zellseelen und Seelenzellen". Zum tieferen Eindringen in diese 
"Elementar-Psychologie" wurde ich durch meine langjährige 
Beschäftigung mit den einzelligen Lebensformen geführt. 
Viele von diesen kleinen (meist mikroskopischen) Protisten zeigen 
ähnliche Aeußerungen von Empfindung und Willen, 
ähnliche Instinkte und Bewegungen wie höhere Thiere: 
besonders gilt das von den sehr empfindlichen und lebhaft beweglichen 
Infusorien. Sowohl in dem Verhalten dieser reizbaren Zellinge 
gegenüber der Außenwelt, wie in vielen anderen 
Lebensäußerungen derselben (z.B. in dem wunderbaren 
Gehäuse-Bau der Rhizopoden, der Thalamophoren und Infusorien) 
könnte man deutliche Spuren bewußter 
Seelenthätigkeit zu erkennen glauben. Wenn man nun die 
biologische Theorie des Bewußtseins acceptiert (Nr. IV), und wenn 
man jede psychische Funktion mit einem Bewußtseins-Antheil 
ausstattet, dann wird man auch jeder selbstständigen Protisten-Zelle
Bewußtsein zuschreiben müssen. Die materielle 
Grundlage desselben wäre dann entweder das ganze 
Plasma der Zelle oder deren Kern oder ein Theil desselben. In 
der Psychaden-Theorie von Fritz Schultze verhält sich 
das Elementar-Bewußtsein der Psychade zur einzelnen Zelle 
ähnlich wie im höheren Thiere und im Menschen das 
persönliche Bewußtsein zum vielzelligen Organismus der 
Person. Definitiv widerlegen läßt sich diese Annahme, die ich 
früher vertrat, nicht. Ich muß aber jetzt Max Verworn 
zustimmen, welcher in seinen ausgezeichneten "Psychologischen 
Protisten-Studien" annimmt, daß wohl sämmtlichen Protisten 
ein entwickeltes "Ichbewußtsein" fehlt, und daß ihre 
Empfindungen und Bewegungen den Charakter des 
"Unbewußten" tragen.
VI.  Atomistische Theorie des Bewußtseins:es ist eine 
Elementar-Eigenschaft aller Atome. Unter allen verschiedenen 
Anschauungen über die Verbreitung des Bewußtseins geht 
diese atomistische Hypothese am weitesten. Sie ist wohl 
hauptsächlich der Schwierigkeit entsprungen, welche manche 
Philosophen und Biologen bei der Frage nach der ersten Entstehung des 
Bewußtseins empfinden. Diese Erscheinung trägt ja 
einen so eigenartigen Charakter, daß ihre Ableitung aus anderen 
psychischen Funktionen höchst bedenktlich erscheint; man glaubte 
daher dieses Hinderniß am leichtesten dadurch zu 
überwinden, daß man sie als eine Elementar-Eigenschaft aller 
Materie annahm, gleich der Massen-Anziehung oder der chemischen 
Wahlverwandtschaft. Es würde danach so viele Formen des 
Elementar-Bewußtseins geben, als es chemische Elemente giebt; 
jedes Aton Wasserstoff würde sein hydrogeness Bewußtsein 
haben, jedes Atom Kohlenstoff sein karbonisches Bewußtsein u. s. 
w. Auch den alten vier Elementen des Empedokles, deren 
Mischung durch "Lieben und Hassen" das Werden der Dinge bewirkt, 
schrieben manche Philosophen Bewußtsein zu.
Ich selbst habe diese Hypothese des Atombewußtseins 
niemals vertreten; ich bin gezwungen, dies hier besonders 
hervorzuheben, weil E. Du Bois-Reymond mir diese Ansicht 
fälschlicherweise untergeschoben hat. In der scharfen Polemik, 
welche derselbe (1880) in seiner Rede über "die sieben 
Welträthsel" gegen mich führt, bekämpft er meine 
"verderbliche falsche Natur-Philosophie" auf das Heftigste und 
behauptet, ich hätte in meinem Aufsatz über die Perigenesis 
der Plastidule die "Annahme, daß die Atome einzeln 
Bewußtsein haben, als metaphysisches Axiom hingestellt". Ich habe 
vielmehr ausdrücklich betont, daß ich mir die elementaren 
psychischen Thätigkeiten der Empfindung und des Willens, die 
man den Atomen zuschreiben kann, unbewußt vorstelle, 
ebenso unbewußt, wie das elementare Gedächtniß, 
welches ich nach dem Vorgange des ausgezeichneten Physiologen 
Ewald Hering (1870) als "eine allgemeine Funktion der 
organisirten Materie" (besser der lebendigen Substanz") betrachte. Du 
Bois-Reymond verwechselt hier in auffälliger Weise "Seele" 
und "Bewußtsein"; ich will dahin gestellt sein lassen, ob er diese 
Konfusion nur aus Versehen begeht. Da er selbst das Bewußtsein 
für eine transcendente Erscheinung erklärt, einen Theil der 
anderen Seelen-Funktionen (z.B. Sinnes-Thätigkeit) aber nicht, 
muß ich annehmen, daß er beide Begriffe für 
verschieden hält. Aus anderen Stellen seiner eleganten Reden geht 
freilich das Gegentheil hervor, wie denn überhaupt dieser 
berühmte Rhetor sich gerade in Bezug auf wichtige Principien-Fragen oft
auffallend widerspricht. Ich betone hier nochmals, daß 
für mich das Bewußtsein nur einen Theil der
Seelen-Erscheinungen bildet, die wir am Menschen und den höheren 
Thieren beobachten, während der weitaus größere 
Theil derselben unbewußt abläuft. 
 Monistische und dualistische Theorie des Bewußtseins.Soweit auch die verschiedenen Ansichten über die Natur und die 
Entstehung des Bewußtseins aus einander gehen, so lassen sich 
doch alle schließlich - bei klarer und konsequenter logischer 
Behandlung - auf zwei entgegengesetzte Grund-Anschauungen 
zurückführen, auf die transcendente 
(dualistische) und die physiologische (monistische). 
Ich selbst habe von jeher diese letztere Aufassung, und zwar im Lichte 
der Entwickelungslehre, vertreten, und sie wird 
gegenwärtig von einer großen Anzahl hervorragender 
Naturforscher getheilt, wenn auch bei weitem nicht von allen. Die erste 
Ansicht dagegen ist die ältere und die weitaus verbreitetere; sie 
ist in neuerer Zeit vor Allem durch Emil du Bois-Reymond wieder 
zu hohem Ansehen gelangt und durch seine berühmte 
"Ignorabimus-Rede" zu einem der meistbesprochenen 
Gegenstände in den modernen "Welträthsel-Diskussionen" 
geworden. Bei der außerordentlichen Bedeutung dieser Grundfrage 
können wir nicht umhin, hier nochmals auf den Kern derselben 
kurz einzugehen.
 Transcendenz des Bewußtseins.In dem berühmten 
Vortrage "über die Grenzen des Naturerkennens", welchen E. Du 
Bois-Reymond am 14. August 1872 auf der Naturforscher-Versammlung in Leipzig
hielt, stellte derselbe zwei verschiedene 
"unbedingte Grenzen" unseres Naturerkennens auf, welche der 
menschliche Geist auch bei vorgeschrittenster Natur-Erkenntniß 
niemals überschreiten werde - niemals, wie das oft citirte 
Schlußwort des Vortrags emphatisch betont: "Ignorabimus!" Das 
eine absolut unlösbare "Welt-Räthsel" ist der 
"Zusammenhang von Materie und Kraft" und das eigentliche Wesen 
dieser fundamentalen Natur-Erscheinungen; wir werden dieses 
"Substanz-Problem" im zwölften Kapitel eingehend 
behandeln. Das zweite unübersteigliche Hinderniß der 
Philosophie soll das Problem des Bewußtseins bilden, die 
Frage: wie unsere Geistesthätigkeit aus materiellen Bedingungen, 
bezüglich Bewegungen zu erklären ist, wie die (der Materie 
und Kraft zu Grunde liegende) "Substanz unter bestimmten Bedingungen 
empfindet, begehrt und denkt".
Der Kürze halber, und zugleich um das Wesen des Leipziger 
Vortrages mit einem Schlagworte zu charakterisieren, habe ich dieselbe 
als "Ignorabimus-Rede" bezeichnet; es ist dies um so mehr 
gestattet, als E. Du Bois-Reymond selbst acht Jahre später 
(in der Rede über die sieben Welträthsel, 1880) den 
außerordentlichen Erfolg derselben mit berechtigtem Stolze 
rühmen und dabei sagen konnte; "Die Kritik schlug alle Töne 
vom freudig zustimmenden Lobe bis zum wegwerfendsten Tadel an, und 
das Wort 'Ignorabimus', in welchem meine Untersuchung gipfelte, 
ward förmlich zu einer Art von naturphilosophischem Schiboleth." 
Thatsächlich erschollen die lauten "Töne des freudig 
zustimmenden Lobes" aus den Hörsälen der dualistischen 
und spiritualistischen Philosophie und besonders aus dem Heerlager der 
Ecclesia militans (der "schwarzen Internationale"); aber auch alle 
Spiritualisten und alle gläubigen Gemüther, welche durch 
das 'Ignorabimus' die Unsterblichkeit ihrer theuren "Seele" 
gerettet wähnten, waren davon entzückt. Den 
"wegwerfendsten Tadel erfuhr die glänzende Ignorabimus-Rede 
dagegen anfänglich nur von Seiten weniger Naturforscher und 
Philosophen, von jenen Wenigen, die gleichzeitig über 
hinreichende naturphilosophische Kenntnisse und über den 
erforderlichen moralischen Muth verfügten, um den dogmatischen 
Machtsprüchen des allgewaltigen Sekretärs und Diktators 
der Berliner Akademie der Wissenschaften entgegenzutreten. 
Der merkwürdige Erfolg der Ignorabimus-Rede (den der Redner 
selbst später gelegentlich als unberechtigt und übertrieben 
bezeichnet hat!) erklärt sich aus zwei Gründen, einem 
äußeren und einem inneren. Aeußerlich betrachtet war 
dieselbe unzweifelhaft "ein bedeutungsvolles rhetorisches Kunstwerk, 
eine schöne Predigt von hoher Vollendung der Form und 
überraschendem Wechsel naturphilosophischer Bilder. Bekanntlich 
beurtheilt aber die Mehrheit - und besonders das "schöne 
Geschlecht"! - eine schöne Predigt nicht nach dem wahren Ideen-Gehalte,
sondern nach dem ästhetischen Unterhaltungswerthe" 
(Monismus S. 44). Innerlich analysirt dagegen enthält die 
Ignorabimus-Rede das entschiedene Programm des metaphysischen 
Dualismus: die Welt ist "doppelt unbegreiflich": einmal die 
materielle Welt, in welcher "Materie und Kraft" ihr Wesen treiben, und 
gegenüber, ganz getrennt, die immaterielle Welt des "Geistes", in 
welcher "Denken und Bewußtsein nicht aus materiellen 
Bedingungen erklärbar" sind, wie bei der ersteren. Es war ganz 
naturgemäß, daß der herrschende Dualismus und 
Mysticismus diese Anerkennung der zwei verschiedenen Welten mit 
Begierde ergriff, um damit die Doppelnatur des Menschen und die 
Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Der Jubel der Spiritualisten 
darüber war um so heller und berechtigter, als E. Du Bois-Reymond
bis dahin als ein bedeutender principieller Vertreter des 
wissenschaftlichen Materialismus gegolten hatte; und das war und blieb 
er auch (trotz seiner "schönen Reden"!), ebenso wie alle anderen 
sachkundigen, klaren und konsequent denkenden Naturforscher 
der Gegenwart. 
Allerdings hat der Verfasser der Ignorabimus-Rede am Schlusse 
derselben kurz auf die Frage hingewiesen, ob nicht jene beiden 
gegenüberstehenden "Welträthsel", das allgemeine 
Substanz-Problem und besondere Bewußtseins-Problem, 
zusammenfallen. Er sagt: "Freilich ist diese Vorstellung die einfachste 
und der vorzuziehen, wonach die Welt doppelt unbegreiflich erscheint. 
Aber es liegt in der Natur der Dinge, daß wir auch in diesem 
Punkte nicht zur Klarheit kommen, und alles weitere Reden 
darüber bleibt müßig." - Dieser letzteren Ansicht bin 
ich von Anfang an entschieden entgegengetreten und habe mich zu 
zeigen bemüht, daß jene beiden großen Fragen nicht 
zwei verschiedene Welträthsel sind. "Das neurologische 
Problem des Bewußtseins ist nur ein besonderer Fall von dem 
allumfassende kosmologischen Problem, der Substanz-Frage." 
(Monismus, 1892, S. 23). 
Es ist hier nicht der Ort, um nochmals auf die betreffende Polemik und 
die sehr umfangreiche, darüber entstandene Literatur einzugehen. 
Ich habe schon vor 30 Jahren, im Vorwort zur ersten Auflage meiner 
Anthropogenie, gegen die Ignorabimus-Rede, ihre dualistischen 
Principien und ihre metaphysischen Trugschlüsse entschiedenen 
Protest erhoben, und ich habe denselben ausführlich 
begründet in meiner Schrift über "Freie Wissenschaft und 
freie Lehre" (Stuttgart 1878, s. 78, 82 etc.). Auch in "Monismus" habe ich 
denselben wieder berührt (S. 23, 44). Du Bois-Reymond, 
welcher dadurch an seiner empfindlichsten Stelle getroffen war, 
antwortete sehr gereizt in verschiedenen Reden; auch diese sind, wie die 
meisten seiner vielgelesenen Reden, blendend durch den eleganten 
französischen Stil und fesselnd durch den Bilderreichthum und die 
überraschenden Redewendungen. Aber eine wesentliche 
Förderung der Welterkenntniß liefert ihre 
oberflächliche Betrachtungsweise nicht. Am wenigsten gilt das 
vom Darwinismus, als dessen Anhänger sich der Berliner 
Physiologe später bedingungsweise bekennt, obgleich er nie das 
Geringste zu seiner Förderung gethan hat; seine 
absprechenden Bemerkungen über das biogenetische Grundgesetz, 
seine Verwerfung der Stammesgeschichte u. s. w. bekunden 
hinlänglich, daß derselbe weder mit den empirschen 
Thatsachen der vergleichenden Morphologie und 
Entwickelungsgeschichte hinreichend vertraut, noch zu der 
philosophischen Würdigung ihrer hohen theoretischen Bedeutung 
befähigt war. 
 Physiologie des Bewußtseins.Die eigenartige Natur-Erscheinung
des Bewußtseins ist nicht, wie Du Bois-Reymond und die dualistische
Philosophie behauptet, ein 
völlig und "durchaus transcendentes Problem"; sondern sie ist, wie 
ich schon seit 33 Jahren behauptet habe, ein physiologisches 
Problem, und als solches auf die Erscheinungen im Gebiete der 
Physik und Chemie zurückzuführen. Ich habe dasselbe 
später noch bestimmter als ein neurologisches Problem 
bezeichnet, weil ich der Ansicht bin, daß wahres Bewußtsein 
(Denken und Vernunft) nur bei jenen höheren Thieren zu finden 
ist, welche ein centralisiertes Nerven-System und Sinnes-Organe 
von einer gewissen Höhe der Ausbildung besitzen. Mit voller 
Sicherheit läßt sich das für die höheren 
Wirbelthiere behaupten, und vor Allem für die placentalen 
Säugethiere, aus deren Stamm das Menschen-Geschlecht selbst 
entsprossen ist. Das Bewußtsein der höchstentwickelten 
Affen, Hunde, Elephanten u. s. w. ist von demjenigen des Menschen nur 
dem Grade, nicht der Art nach verschieden, und die graduellen 
Unterschiede im Bewußtsein dieser "vernünftigsten" 
Zottenthiere und der niedersten Menschen-Rassen (Weddas, 
Australneger u. s. w.) sind geringer als die entsprechenden Unterschiede 
zwischen letzteren und den höchst entwickelten Vernunft-Menschen
(Spinoza, Goethe, Lamark, Darwin 
u. s. w.). Das Bewußtsein ist mithin nur ein Theil der 
höheren Seelenthätigkeit, und als solche abhängig 
von der normalen Struktur des betreffenden Seelen-Organs, des 
Gehirns.
Physiologische Beobachtung und Experiment haben seit zwanzig Jahren 
den sicheren Beweis geführt, daß derjenige engere Bezirk des 
Säugethier-Gehirns, den man in diesem Sinne als "Sitz" 
(besser als "Organ") des Bewußtseins bezeichnet, ein Theil 
des Großhirns ist, und zwar jener spät entstandene 
"graue Mantel" oder die "Großhirnrinde", welche aus dem konvexen 
Dorsal-Theil der primären Hirnblase, des Vorderhirns, sich 
entwickelt. Aber auch die morphologische Begründung 
dieser physiologischen Erkenntniß ist den 
bewunderungswürdigen Fortschritten der mikroskopischen 
Gehirn-Anatomie gelungen, welche wir den vervollkommneten 
Forschungs-Methoden der neuesten Zeit verdanken 
(Kölliker, Flechsig, Golgi, Edinger, 
Weigert u. s. w.). 
Wohl die wichtigste von diesen Erkenntnissen ist die Entdeckung der 
Denkorgane durch Paul Flechsig in Leipzig; er wies nach, 
daß in der grauen Rindenzone des Hirnmantels vier Gebiete der 
centralen Sinnesorgane oder "innere Enpfindungssphären" liegen, 
die Körperfühlsphäre im Scheitellappen, die 
Riechsphäre im Stirnlappen, die Sehsphäre im 
Hinterhauptslappen, die Hörsphäre im Schläfenlappen. 
Zwischen diesen vier "Sinnesherden" liegen die vier großen 
"Denkherde" oder Associons-Centren, die realen Organe des 
Geisteslebens; sie sind jene höchsten Werkzeuge der 
Seelenthätigkeit, welche das Denken und das 
Bewußtsein vermitteln: vorn das Stirnhirn oder das frontale 
Associons-Centrum, hinten oben das Scheitelhirn oder parietale 
Associons-Centrum, hinten das Principalhirn oder das "große 
occipito-temporaleAssocions-Centrum" (das wichtigste von allen!) und 
endlich tief unten, im Innern versteckt, das Inselhirn oder "die Reil«sche 
Insel", das insulare Associons-Centrum. Dieser vier Denkherde, durch 
eigenthümliche und höchst verwickelte Nervenstruktur vor 
den zwischenliegenden Sinnesherden ausgezeichnet, sind die wahren 
"Denkorgane", die einzigen Organe unseres Bewußtseins. In 
neuester Zeit hat Flechsig nachgewiesen, daß in einem Theile 
derselbe sich beim Menschen noch ganz besonders verwickelte 
Strukturen finden, welche den übrigen Säugethieren fehlen, 
und welche die Ueberlegenheit des menschlichen Bewußtseins 
erklären. 
 Pathologie des Bewußtseins.Die bedeutungsvolle 
Erkenntniß der modernen Physiologie, daß das Großhirn 
beim Menschen und den höheren Säugethieren das Organ 
des Geisteslebens und des Bewußtseins ist, wird einleuchtend 
bestätigt durch die Pathologie, durch die Kenntniß 
seinerErkrankungen. Wenn die betreffenden Theile der 
Großhirnrinde durch Krankheit zerstört werden, erlischt ihre 
Funktion, und zwar läßt sich hier die Lokalisation der 
Gehirn-Funktionen sogar partiell nachweisen; wenn einzelne Stellen 
jenes Gebietes erkranken, verschwindet auch der Theil des Denkens und 
des Bewußtseins, welcher an die betreffende Stelle gebunden ist. 
Dasselbe Ergebniß liefert das pathologische Experiment; 
Zerstörung eier solchen bekannten Stelle (z.B. im Sprach-Centrum) 
vernichtet deren Funktion (die Sprache). Uebrigens genügt ja der 
Hinweis auf die bekanntesten alltäglichen Erscheinungen im 
Gebiete des Bewußtseins, um die völlige Abhängigkeit 
desselben von den chemischen Veränderungen der Gehirn-Substanz zu
beweisen. Viele Genußmittel (Kaffee, Thee) regen 
unser Denkvermögen an; andere (Wein, Bier) stimmen unser 
Gemüth heiter; Moschus und Kampfer als "Excitantia" 
beleben das erlöschende Bewußtsein; Aether und Chloroform 
betäuben dasselbe u. s. w. Wie wäre das Alles möglich, 
wenn das Bewußtsein ein immaterielles Wesen, unabhängig 
von jenen anatomisch nachgewiesenen Organen wäre? Und worin 
besteht das Bewußtsein der "unsterblichen Seele", wenn sie nicht 
mehr jene Organe besitzt?
Alle diese und andere bekannte Thatsachen beweisen, daß das 
Bewußtsein beim Menschen - und genau ebenso bei den 
nächstverwandten Säugethieren - veränderlich 
ist, und daß seine Thätigkeit jederzeit abgeändert 
werden kann durch innere Ursachen (Stoffwechsel, Blutkreislauf) und 
äußere Ursachen (Verletzung des Gehirns, Reizung u s. w.). 
Sehr lehrreich sind auch die merkwürdigen Zustände des 
alternirenden oder doppelten Bewußtseins, welche an einen 
"Generationswechsel der Vorstellungen" erinnern; derselbe Mensch zeigt 
an verschiedenen Tagen, unter veränderten Umständen ein 
ganz verschiedenes Bewußtsein; er weiß heute nicht mehr, 
was er gestern gethan hat; gestern konnte er sagen; Ich bin Ich; - heute 
muß er sagen; Ich bin ein Anderer. Solche Intermissionen des 
Bewußtseins können nicht bloß Tage, sondern Monate 
und Jahre dauern, sie können selbst bleibend werden. 
 Ontogenie des Bewußtseins.Wie jedermann weiß, ist 
das neugeborene Kind noch ganz ohne Bewußtsein, und wie 
Preyer gezeigt hat, entwickelt sich dasselbe erst spät, 
nachdem das kleine Kind zu sprechen angefangen hat; es spricht von 
sich lange Zeit in der dritten Person. Erst in dem bedeutungsvollen 
Momente, in welchem es zum ersten Male "Ich" sagt, in welchem 
das "Ichgefühl" klar wird, beginnt sein 
Selbstbewußtsein zu keimen und damit auch der Gegensatz zur 
Außenwelt. Die schnellen und tiefgreifenden Fortschritte der 
Erkenntniß, welche das Kind durch den Unterricht der Eltern und 
der Schule in den ersten zehn Lebensjahren macht, und später 
langsamer im zweiten Decennium bis zur vollendeten geistigen Reife, 
sind eng verknüpft mit unzähligen Fortschritten im 
Wachsthum und in der Entwickelung des Bewußtseins und 
mit derjenigen seines Organs, des Gehirns. Aber auch wenn der 
Schüler das "Zeugniß der Reife" erlangt hat, so ist in Wahrheit 
sein Bewußtsein noch lange nicht reif, und jetzt beginnt erst recht, 
in vielseitiger Berührung mit der Außenwelt, das 
"Weltbewußtsein" sich zu entwickeln. Jetzt erst reift im 
dritten Decennium jene volle Ausbildung des vernünftigen 
Denkens und damit des Bewußtseins, welche dann bei normaler 
Entwickelung in den folgenden drei Jahrzehnten ihre reifen 
Früchte trägt. Gewöhnlich mit Beginn des siebenten 
Decenniums (bald früher, bald später) beginnt dann jene 
langsame und allmähliche Rückbildung der höheren 
Geistesthätigkeit, welche das Greisenalter charakterisirt. 
Gedächtniß, Receptions-Fähigkeit und Interesse an 
speciellen Objekten nehmen mehr und mehr ab; dagegen bleibt die 
Produktionsfähigkeit, das gereifte Bewußtsein und das 
philosophische Interesse an allgemeinen Beziehungen, oft noch lange 
erhalten. Die individuelle Entwickelung des Bewußtseins in 
früher Jugend beweist die allgemeine Geltung des 
biogenetischen Grundgesetzes; aber auch in späteren Jahren 
ist dieselbe noch vielfach erkennbar. Jedenfalls überzeugt uns die 
Ontogenese des Bewußtseins auf«s Klarste von der Thatsache, 
daß dasselbe kein "immaterielles Wesen", sondern eine 
physiologische Funktion des Gehirns ist, und daß es also auch keine 
Ausnahme vom Substanz-Gesetze bildet.
 Phylogenie des Bewußtseins.Die Thatsache, daß das 
Bewußtsein, gleich allen anderen Seelenthätigkeiten, an die 
normale Ausbildung bestimmter Organe gebunden ist, und daß sich 
dasselbe beim Kinde, in Zusammenhang mit diesen Gehirn-Organen, 
allmählich entwickelt, läßt schon von vornherein 
schließen, daß dasselbe auch innerhalb der Thierreihe sich 
stufenweise historisch entwickelt hat. So sicher wir aber auch eine 
solche natürliche Stammesgeschichte des Bewußtseins 
im Princip behaupten müssen, so wenig sind wir doch leider im 
Stande, tiefer in dieselbe einzudringen und specielle Hypothesen 
darüber aufzustellen. Indessen liefert uns die Paläontologie 
doch einige interessante Anhaltspunkte, die nicht ohne Bedeutung sind. 
Auffallend ist z. B. die bedeutende, quantitative und qualitative 
Entwickelung des Gehirns der placentalen Säugethiere innerhalb 
der Tertiär-Zeit. An vielen fossilen Schädeln 
derselben, ist die innere Schädelhöhle genau bekannt und 
liefert uns sichere Aufschlüsse über die Größe 
und theilweise auch über den Bau des davon umschlossenen 
Gehirns. Da zeigt sich denn innerhalb einer und derselben Legion (z.B. 
der Hufthiere, der Raubthiere, der Herrenthiere) ein gewaltiger 
Fortschritt von den älteren eocänen und oligocänen zu 
den jüngeren miocänen und pliocänen Vertretern 
desselben Stammes; bei den letzteren ist das Gehirn (im 
Verhältniß zur Körpergröße) 6-8 mal so 
groß als bei den ersteren.
Auch jene höchste Entwickelungsstufe des Bewußtseins, 
welche nur der Kulturmensch erreicht, hat sich erst 
allmählich und stufenweise - eben durch den Fortschritt der 
Kultur selbst - aus niederen Zuständen entwickelt, wie wir sie 
noch heute bei primitiven Naturvölkern antreffen. Das zeigt uns 
schon die Vergleichung ihrer Sprachen, welche mit derjenigen 
der Begriffe eng verknüpft ist. Je höher sich beim 
denkenden Kultur-Menschen die Begriffs-Bildung entwickelt, je mehr er 
fähig wird, aus zahlreichen verschiedenen Einzelheiten die 
gemeinsamen Merkmale zusammenzufassen und unter allgemeine 
Begriffe zu bringen, desto klarer und tiefer wird damit sein 
Bewußtsein. 
 Inhalt, 
Kapitel
1,
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20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
 Copyright 1997. 
Kurt Stüber
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