Inhalt,
Kapitel
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,
10,
11,
12,
13,
14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
Copyright 1997.
Kurt Stüber
Viertes Kapitel
Unsere Keimesgeschichte.
Monistische Studien über menschliche und vergleichende
Ontogenie. Uebereinstimmung der Keimbildung und Entwicklung des
Menschen und der Wirbelthiere.
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Inhalt: Aeltere Keimesgeschichte. Präformationslehre.
Einschachtelungs-Lehre. Haller und Leibniz. Epigenesis-Lehre. C. F.
Wolff. Keimblätter-Lehre. Carl Ernst Baer. Entdeckung des
menschlichen Eies. Remak. Kölliker. Eizelle und Keimzelle.
Gasträa-Theorie. Protozoen und Metazoen. Eizelle und Samenzelle
des Menschen. Oscar Hertwig. Empfängniß oder Befruchtung.
Keimanlage des Menschen. Aehnlichkeit der Wirbelthier-Keime. Die
Keimhüllen des Menschen. Amnion, Serolemma und Allantois.
Placenta-Bildung und Nachgeburt. Siebhaut udn Nabelstrang. Die
scheibenförmige Placenta der Affen und des Menschen.
In noch höherem Maaße als die vergleichende Anatomie und
Physiologie ist die vergleichende Ontogenie, die
Entwicklungsgeschichte des Einzelthieres oder Individuums, ein
Kind unseres neunzehnten Jahrhunderts. Wie entsteht der Mensch im
Mutterleibe? Und wie entstehen die Thiere aus den Eiern? Wie entsteht
die Pflanze aus dem Samenkorn? Diese inhaltsschwere Frage hat zwar
auch schon seit Jahrtausenden den denkenden Menschengeist
beschäftigt, aber erst sehr spät, erst vor 70 Jahren, zeigte
uns der Embryologie Baer die rechten Mittel und Wege, um tiefer
in die Kenntniß der geheimnißvollen Thatsachen der
Keimesgeschichte einzudringen; und noch viel später, vor 40
Jahren, lieferte uns Darwin durch seine Reform der Descendenz-Theorie den
Schlüssel, mit dessen Hülfe wir die
verschlossene Pforte ihres Verständnisses öffnen und zur
Erkenntniß ihrer Ursachen gelangen können. Da ich diese
hochinteressanten, aber auch schwierig zu vertstehenden
Verhältnisse in meiner Keimesgeschichte des Menschen (-
im ersten Theile der Anthropogenie, fünfte Auflage 1903 -) einer
ausführlichen, populärwissenschaftlichen Darstellung
unterzogen habe, beschränke ich mich hier auf eine kurze
Zusammenfassung und Deutung nur der wichtigsten Erscheinungen. Wir
wollen dabei zunächst einen historischen Rückblick auf die
ältere Ontogenie und die damit verknüpfte
Präformations-Theorie werfen.
Präformations-Lehre. Aeltere Keimesgeschichte.
(Vergl. den 2. Vortrag meiner "Anthropogenie".) Wie für die
vergleichende Anatomie, so sind auch für die
Entwickelungsgeschichte die klassischen Werke des Aristoteles,
des vielseitigen "Vaters der Naturgeschichte", die älteste uns
bekannte wissenschaftliche Quelle (im 4. Jahrhundert v. Chr.). Nicht
allein in seiner großen Thiergeschichte, sondern auch in einer
besonderen kleinen Schrift: "Fünf Bücher von der Zeugung
und Entwicklung der Thiere", erzählt uns der große Philosoph
eine Menge von interessanten Thatsachen und stellt Betrachtungen
über deren Bedeutung an; viele davon sind erst in unserer Zeit
wieder zur Geltung gekommen und eigentlich erst wieder neu entdeckt
worden. Natürlich sind aber daneben auch viele Fabeln und
Irrthümer zu finden, und von der verborgenen Entstehung des
Menschenkeimes war noch nichts Näheres bekannt. Aber auch in
dem langen, folgenden Zeitraume von zwei Jahrtausenden machte die
schlummernde Wissenschaft keine weiteren Fortschritte. Erst im
Anfange des 17. Jahrhunderts fing man wieder an, sich damit zu
beschäftigen; die italienische Anatom Fabricius ab
Aquapendente (in Padua) veröffentlichte 1600 die
ältesten Abbildungen und Beschreibungen von Embryonen des
Menschen und einiger höherer Thiere; und der berühmte
Marcello Malpighi in Bologna, gleich bahnbrechend in der Zoologie
wie in der Botanik, gab 1687 die erste zusammenhängende
Darstellung von der Entstehung des Hühnchens im
bebrüteten Ei.
Alle diese älteren Beobachter waren von der Vorstellung
beherrscht, daß im Ei der Thiere, ähnlich wie im Samen der
höheren Pflanzen, der ganze Körper mit allen seinen Theilen
bereits fertig vorhanden sei, nur in einem so feinen und so
durchsichtigen Zustande, daß man sie nicht erkennen könne;
die ganze Entwicklung sei demnach nichts weiter, als Wachstum oder
"Auswickelung" (Evolutio) der eingewickelten Theile
(Partes involutae). Diese falsche Lehre, die bis zum Anfang des 19.
Jahrhunderts fast allgemein in Geltung blieb, nennen wir am besten die
Vorbildungslehre oder Präformations-Theorie; oft wird sie
auch "Evolutions-Theorie" genannt; allein unter diesem Begriffe
verstehen viele neuere Autoren auch die ganz verschiedene
Transformations-Theorie.
Einschachtelungs-Lehre (Scatulations-Theorie). In engem
Zusammenhange mit der Präformations-Lehre und in berechtiger
Schlußfolge aus derselben entstand im 17. Jahrhundert eine
weitere Theorie, welche die denkenden Biologen lebhaft
beschäftigte, die sonderbare "Einschachtelungslehre". Da man
annahm, dajß im Ei bereits die Anlage des ganzen Organismus mit
allen seinen Theilen vorhanden sei, mußte auch der Eierstock des
jungen Keimes mit den Eiern der folgenden Generation darin vorgebildet
sein, und in diesen wiederum die Eier der nächtsfolgenden u. s w.,
in infinitum! Darauf hin berechnete der berühmte Physiologe
Haller, daß der liebe Gott vor 6000 Jahren - am sechsten
Tage seines Schöpfungswerkes - die Keime von 200000 Millionen
Menschen gleichzeitig erschaffen und sie im Eierstock der
ehrwürdigen Urmutter Eva kunstgerecht eingeschachtelt habe.
Kein Geringerer, als der hochangesehene Philosoph Leibniz,
schloß sich diesen Ausführungen an und verwerthete sie
für seine Monadenlehre; und da dieser zufolge sich Seele und Leib
in ewig unzertrennlicher Gemeinschaft befinden, übertrug er sich
auch auf die Seele; - "die Seelen der Menschen haben in deren Voreltern
bis auf Adam, also seit dem Anfang der Dinge (!!), immer in der Form
organischer Körper existiert".
Epigenesis-Lehre. Im November 1759 vertheidigte in Halle in
junger 26jähriger Mediciner, Caspar Friedrich Wolff ( - der
Sohn eines Berliner Schneiders -), seine Doktor-Dissertation unter dem
Titel "Theoria generationis". Gestützt auf eine Reihe der
mühsamsten und sorgfältigsten Beobachtungen wies er nach,
daß die ganze herrschende Präformations- und Skatulations-Theorie
falsch sei. Im bebrüteten Hühner-Ei ist anfangs noch
keine Spur vom späteren Vogelkörper und seinen Theilen
vorhanden; vielmehr finden wir statt dessen oben auf der bekannten
gelben Dotterkugel eine kleine, kreisrunde, weiße Scheibe. Diese
dünne "Keimscheibe" wird länglich rund und
zerfällt dann in vier über einander liegende Schichten, die
Anlagen der vier wichtigsten Organ-Systeme: zuerst die oberste, das
Nervensystem, darunter die Fleischmasse (Muskelsystem), dann das
Gefäßsystem mit dem Herzen und zuletzt der Darmkanal.
Also sagt Wolff richtig, besteht die Keimbildung nicht in einer
Auswickelung vorgebildeter Organe, sondern in einer Kette von
Neubildungen, einer wahren "Epigenesis"; ein Theil entsteht
nach dem andern, und alle erscheinen in einer einfachen Form, welche
von der später ausgebildeten ganz verschieden ist; diese entsteht
erst durch eine Reihe der merkwürdigsten Umbildungen. Obgleich
nun diese große Entdeckung - einer der wichtigsten des 18.
Jahrhunderts! - sich unmittelbar durch Nachuntersuchung der
beobachteten Thatsachen hätte bestätigen lassen, und
obgleich die darauf gegründete "Theorie der Generation"
eigentlich gar keine Theorie, sondern eine nackte Thatsache war,
fand sie dennoch ein halbes Jahrhundert hindurch nicht die mindeste
Anerkennung. Besonders hinderlich war die mächtige
Autorität von Haller, der sie hartnäckig
bekämpfte, mit dem Dogma: "Es giebt kein Werden! Kein Theil im
Thierkörper ist vor dem anderen gemacht worden, und Alle sind
zugleich erschaffen".Wolff, der nach Petersburg gehen
mußte, war schon lange todt, als die vergessenen, von ihm
beobachteten Thatsachen von Lorenz Oken in Jena (1806) auf's
Neue entdeckt wurden.
Keimblätter-Lehre. Nachdem durch Oken die
Epigenesis-Theorie von Wolff bestätigt und durch
Meckel (1812) dessen wichtige Schrift über die
Entwickelung des Darmkanals aus dem Lateinischen in's Deutsche
übersetzt war, warfen sich in Deutschland mehrere junge
Naturforscher mit großem Eifer auf die genauere Untersuchung der
Keimesgeschichte. Der bedeutendste und erfolgreichste derselben war
Carl Ernst Baer; sein berühmtes Hauptwerk erschien 1828
unter dem Titel: "Entwickelungsgeschichte der Tiere, Beobachtung und
Reflexion". Nicht allein sind darin die Vorgänge der Keimbildung
ausgezeichnet klar und vollständig beschrieben, sondern auch
zahlreiche geistvolle Spekulationen daran geknüpft. Vorzugsweise
ist zwar die Embryobildung des Menschen und der
Wirbelthiere genau dargestellt, aber daneben auch die wesentlich
verschiendene Ontogenie der niederen, wirbellosen Thiere
berücksichtigt. Die zwei blattförmigen Schichten, welche in
der runden Keimscheibe der höheren Wirbelthiere zuerst
auftreten, zerfallen nach Baer zunächst in je zwei
Blätter, und diese vier Keimblätter verwandeln sich
in vier Röhren, die Fundamental-Organe: Hautschicht,
Fleischschicht, Gefäßschicht und Schleimschicht. Durch sehr
verwickelte Prozesse der Epigenesis entstehen daraus die späteren
Organe, und zwar bei dem Menschen und bei allen Wirbelthieren in
wesentlich gleicher Weise. Ganz anders verhalten sich darin die drei
Hauptgruppen der wirbellosen Thiere, unter sich wieder sehr
verschieden. Unter den vielen einzelnen Entdeckungen von Baer
war eine der wichtigsten das menschliche Ei. Bis dahin hatte man beim
Menschen, wie bei allen anderen Säugethieren, für Eier
kleine Bläschen gehalten, die sich zahlreich im Eierstock finden.
Erst Baer zeigte (1827), daß die wahren Eier in diesen
Bläschen, den "Graaf'schen Follikeln" eingeschlossen und viel
kleiner sind, Kügelchen von nur 0,2 mm Durchmesser, unter
günstigen Verhältnissen eben als Pünktchen mit
bloßem Auge zu sehen. Auch entdeckte er zuerst, daß aus
dieser kleinen Eizelle der Säugthiere sich zunächst eine
charakteristische Keimblase entwickelt, eine Hohlkugel mit
flüssigem Inhalt, deren Wand die dünne Keimhaut bildet
(Blastoderma).
Eizelle und Samenzelle. Zehn Jahre nachdem Baer der
Embryologie durch seine Keimblätter-Lehre eine feste Grundlage
gegeben, entstand für dieselbe eine neue wichtige Aufgabe durch
die Begründung der Zellen-Theorie (1838). Wie verhalten
sich das Ei der Thiere und die daraus entstehenden Keimblätter zu
den Geweben und Zellen, welche den entwickelten Thierkörper
zusammensetzen? Die richtige Beantwortung dieser inhaltschweren
Frage gelang um die Mitte unseres Jahrhunderts zwei hervorragenden
Schülern von Johannes Müller: Robert Remak
in Berlin und Albert Kölliker in Würzburg. Sie wiesen
nach, daß das Ei ursprünglich nichts Anderes als eine
einfache Zelle ist, und daß auch die zahlreichen
Keimkörner oder "Furchungskugeln", welche durch wiederholte
Theilung daraus entstehen, einfache Zellen sind. Aus diesen
"Furchungszellen" bauen sich zunächst die Keimblätter auf,
und weiterhin durch Arbeitstheilung oder Differenzirung derselben die
verschiedenen Organe. Kölliker erwarb sich dann fernerhin
das große Verdienst, auch die schleimartige Samenflüssigkeit
der männlichen Thiere als Anhäufung von mikroskopischen
kleinen Zellen nachzuweisen. Die beweglichen stecknadelförmigen
"Samenthierchen" in derselben (Spermatozoa) sind nichts
Anderes, als eigenthümliche "Geißelzellen", wie ich
(1866) zuerst an den Samenfäden der Schwämme
nachgewiesen habe. Damit war für beide wichtige
Zeugungsstoffe der Thiere, das männliche Sperma und das
weibliche Ei, bewiesen, daß auch sie der Zellentheorie sich
fügen; eine Entdeckung, deren hohe philosophische Bedeutung erst
viel später, durch die genauere Erforschung der
Befruchtungsvorgänge (1875), erkannt wurde. (Vergl. Vortrag 6-9
der "Anthropogenie".)
Gasträa-Theorie. Alle älteren Untersuchungen
über Keimbildung betrafen den Menschen und die höheren
Wirbelthiere, vor Allem aber den Vogelkeim: denn das
Hühner-Ei ist das größte und bequemste Objekt
dafür und steht jederzeit in beliebiger Menge zur
Verfügung; man kann in der Brutmaschine sehr bequem (- wie bei
der natürlichen Bebrütung durch die Henne -) das Ei
ausbrüten und dabei stündlich die ganze Reihe der
Umbildungen, von der einfachen Eizelle bis zum fertigen
Vogelkörper, innerhalb drei Wochen beobachten. Auch Baer
hatte nur für die verschiedenen Klassen der Wirbelthiere die
Uebereinstimmung in der charakteristischen Bildung der
Keimblätter und in der Entstehung der einzelnen Organe aus
derselben nachweisen können. Dagegen in den zahlreichen Klassen
der Wirbellosen - also der großen Mehrzahl der Thiere -
schien die Keimung in wesentlich verschiedener Weise abzulaufen, und
den Meisten schienen wirkliche Keimblätter ganz zu fehlen. Erst
um die Mitte des Jahrhunderts wurden solche auch bei einzelnen
Wirbellosen nachgewiesen, so von Huxley 1849 bei den Medusen,
und von Kölliker 1844 bei den Cephalopoden. Besonders
wichtig wurde sodann die Entdeckung von Kowalewsky (1866),
daß das niederste Wirbelthier, der Lanzelot oder Amphioxus,
sich genau in derselben, und zwar in einer sehr sprünglichen
Weise entwickelt, wie ein wirbelloses, anscheinend ganz entferntes
Mantelthier, die Seescheide oder Ascidia. Auch bei
verschiedenen Würmern, Sternthieren und Gliederthieren wies
derselbe Beobachter eine ähnliche Bildung der Keimblätter
nach. Ich selbst war damals mit der Entwickelungsgeschichte der
Spongien, Korallen, Medusen und Siphonophoren beschäftigt und
da ich auch bei diesen niedersten Klassen der vielzelligen Thiere
überall dieselbe Bildung von zwei primären
Keimblättern fand, gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß
dieser bedeutungsvolle Keimungsvorgang im ganzen Thierreiche
derselbe ist.
Besonders wichtig erschien mir dabei der Umstand, daß bei den
Schwammthieren und bei den niederen Nessenthieren (Polypen,
Medusen) der Körper lange Zeit hindurch oder selbst zeitlebens
bloß aus zwei einfachen Zellenschichten besteht; bei den Medusen
hatte diese schon Huxley (1849) mit den beiden primären
Keimblättern der Wirbelthiere verglichen. Gestützt auf diese
Beobachtungen und Vergleichungen stellte ich dann 1872 in meiner
"Philosophie der Kalkschwämme" die "Gasträa-Theorie" auf,
deren wesentlichste Lehrsätze folgende sind; I. Das ganze
Thierreich zerfällt in zwei wesentlich verschiedene Hauptgruppen,
die einzelligen Urthiere (Protozoa) und die vielzelligen
Gewebethiere (Metazoa); der ganze Organismus der
Protozoen (Rhizopoden und Infusorien) bleibt zeitlebens eine
einfache Zelle (seltener ein lockerer Zellverein, ohne Gewebebildung, ein
Coenobium); dagegen der Organismus der Metazoen ist nur
im ersten Beginn einzellig, später aus vielen Zellen
zusammengesetzt, welche Gewebe bilden. II. Daher ist auch die
Fortpflanzung und Entwickelung in beiden Hauptgruppen der Thiere
wesentlich verschieden; die Protozoen vermehren sich
gewöhnlich nur ungeschlechtlich, durch Theilung, Knospung
oder Sporenbildung; sie besitzen noch keine echten Eier und ein Sperma.
Die Metazoen dagegen sind in männliches und weibliches
Geschlecht geschieden und vermehren sich vorwiegend
geschlechtlich, mittelst echter Eier, welche vom männlichen
Samen befruchtet werden. III. Daher entstehen auch nur bei den
Metazoen wirkliche Keimblätter, und aus diesen
Gewebe, während solche bei den Protozoen noch ganz
fehlen. IV. Bei allen Metazoen entstehen zunächst nur zwei
primäre Keimblätter, und diese haben überall dieselbe
wesentliche Bedeutung: aus dem äußeren Hautblatt
entwickelt sich die äußere Hautdecke und das Nervensystem;
aus dem inneren Darmblatt hingegen der Darmkanal und alle
übrigen Organe. V. Die Keimform, welche überall
zunächst aus dem befruchteten Ei hervorgeht, und welche allein
aus diesen beiden primären Keimblättern besteht, nannte
ich Darmlarve oder Becherkeim (Gastrula); ihr
becherförmiger, zweischichtiger Körper umschließt
ursprünglich eine einfache verdauende Höhle, den
Urdarm (Progaster oder Archenteron), und dessen
einfache Oeffnung ist der Urmund (Prostoma oder
Blastoporus). Dies sind die ältesten Organe des vielzelligen
Thierkörpers, und die beiden Zellenschichten seiner Wand,
einfache Epithelien, sind seine ältesten Gewebe; alle anderen
Organe und Gewebe sind erst später (sekundär) daraus
hervorgegangen. VI. Aus dieser Gleichartigkeit oder Homologie der
Gastrula in sämmtlichen Stämmen und Klassen der
Gewebethiere zog ich nach dem biogenetischen Grundgesetze (Kap. V),
den Schluß, daß alle Metazoen ursprünglich von einer
gemeinsamen Stammform abstammen, Gasträa, und daß
diese uralte (laurentische) längst ausgestorbene Stammform im
Wesentlichen die Körperform und Zusammensetzung der heutigen,
durch Vererbung erhaltenen Gastrula besaß. VII. Dieser
phylogenetische Schluß aus der Vergleichung der ontogenetischen
Thatsachen wird auch dadurch gerechtfertigt, daß noch heute
einzelne Gasträaden existiren (Orthonectiden, Cyemarien,
Physemarien), sowie älteste Formen anderer
Thierstämme, deren Organisation sich nur sehr wenig über
diese letzeren erhebt (Olynthus unter den Spongien, Hydra,
der gemeine Süßwasserpolyp, unter den Nesselthieren,
Convoluta und andere Kryptocoelen, als einfache
Strudelwürmer, unter den Plattenthieren). VIII. Bei der weiteren
Entwickelung der verchiedenen Gewebethiere aus der Gastrula sind zwei
verschiedene Hauptgruppen zu unterscheiden: Die älteren
Niederthiere (Coelenteria oder Acoelomia) bilden
noch keine Leibeshöhle und besitzen weder Blut noch After: das
ist der Fall bei den Gasträaden, Spongien, Nesselthieren und
Plattenthieren. Die jüngeren Oberthiere (Coelomaria
oder Blitateria) hingegen besitzen eine echte Leibeshöhle
und meistens auch Blut und After; dahin gehören die
Wurmthiere (Vermalia) und die höheren typischen
Thierstämme, welche sich aus diesen entwickelt haben, die
Sternthiere, Weichthiere, Gliederthiere, Mantelthiere und
Wirbelthiere.
Das sind die wesentlichsten Lehrsätze meiner Gasträa-Theorie,
deren ersten Entwurf (1872) ich später weiter
ausgeführt und in einer Reihe von "Studien zur Gasträa-Theorie"
(1873-1884) fester zu begründen mich bemüht
habe. Obgleich dieselbe Anfangs fast allgemein abgelehnt und
während eines Decenniums von zahlreichen Autoritäten
heftig bekämpft wurde, ist sie doch gegenwärtig (seit etwa
15 Jahren) von allen sachkundigen Fachgenossen angenommen. Sehen
wir nun, welche weitreichenden Schlüsse sich aus der
Gasträa-Theorie und der Keimesgeschichte überhaupt
für unsere Hauptfrage, die "Stellung des Menschen in der Natur",
ergeben.
Eizelle und Samenzelle des Menschen. Das Ei des Menschen ist,
wie das aller anderen Gewebethiere, eine einfache Zelle, und diese
kleine kugelige Eizelle (von nur 0,2 mm Durchmesser) hat genau
dieselbe charakteristische Beschaffenheit, wie diejenige aller anderen,
lebendig gebärenden Säugethiere. Die kleine Plasmakugel ist
nämlich von einer dicken, durchsichtigen, fein radial gestreiften
Eihülle umgeben (Zona pellucida); auch das kleine kugelige
Keimbläschen (der Zellenkern), das vom Plasma (dem Zellenleib)
eingeschlossen ist, zeigt dieselbe Größe und Beschaffenheit,
wie bei den übrigen Mammalien. Dasselbe gilt von den
beweglichen Spermien oder Samenfäden des Mannes, den
winzig kleinen, fadenförmigen Geißelzellen, welche sich zu
Millionen in jedem Tröpfchen des schleimartigen
männlichen Samens (Sperma) finden; sie wurden
früher wegen ihrer lebhaften Bewegung für besondere
"Samenthierchen" (Spermatozoa) gehalten. Auch die
Entstehung dieser beiden wichtigen Geschlechts-Zellen in der
Geschlechts-Drüse (Gonade) ist dieselbe beim
Menschen und den übrigen Säugethieren; sowohl die Eier im
Eierstock des Weibes (Ovarium), als die Samenfäden im
Hoden oder Samenstock des Mannes (Spermarium) entstehen
überall auf dieselbe Weise, aus Zellen, welche ursprünglich
vom Cölom-Epithel abstammen, von der Zellenschicht,
welche die Leibeshöhle auskleidet.
Empfängnis oder Befruchtung (Conception,
Foecundation). Der wichtigste Augenblick im Leben eines jeden
Menschen, wie jedes anderen Gewebthieres, ist das Moment, in welchem
seine individuelle Existenz beginnt; es ist der Augenblick, in welchem
die Geschlechtszellen der beiden Eltern zusammentreffen und zur
Bildung einer einzigen einfachen Zelle verschmelzen. Diese neue Zelle,
die "befruchtete Eizelle", ist die individuelle Stammzelle
(Cytula), aus deren wiederholter Theilung die Zellen der
Keimblätter und die Gastrula hervorgehen. Erst mit der Bildung
dieser Cytula, also mit dem Vorgange der Befruchtung
selbst, beginnt die Existenz der Person, des selbstständigen
Einzelwesens. Diese ontogenetische Thatsache ist überaus
wichtig, denn aus ihr allein schon lassen sich die weitestreichenden
Schlüsse ableiten. Zunächst folgt daraus die klare
Erkenntniß, daß der Mensch, gleich allen anderen
Gewebthieren, alle persönlichen Eigenschaften, körperliche
und geistige, von seinen beiden Eltern dur Vererbung erhalten
hat; und weiterhin die inhaltschwere Ueberzeugung, daß die neue,
so entstandene Person unmöglich Anspruch haben kann,
"unsterblich" zu sein.
Die feineren Vorgänge bei der Empfängniß und der
geschlechtlichen Zeugung überhaupt sind daher von
allerhöchster Wichtigkeit; sie sind uns in ihren Einzelheiten erst
sei 1875 bekannt geworden, seit Oscar Hertwig, mein damaliger
Schüler und Reisebegleiter, in Ajaccio auf Corsica seine
bahnbrechenden Untersuchungen über die Befruchtung der Thier-Eier an den
Seeigeln begann. Die schöne Hauptstadt der Rosmarin-Insel, in welcher der
große Napoleon 1769 geboren wurde, war
auch der Ort, an welchem zuerst die Geheimnisse der thierischen
Empfängniß in den wichtigen Einzelheiten genau beobachtet
wurden. Hertwig fand, daß das einzige wesentliche
Ereigniß bei der Befruchtung die Verschmelzung der beiden
Geschlechtszellen und ihrer Kerne ist. Von den Millionen
männlicher Geißelzellen, welche die weibliche Eizelle
umschwärmen, dringt nur eine einzige in deren
Plasmakörper ein. Die Kerne beider Zellen, der Spermakern und
der Eikern, werden durch eine geheimnißvolle Kraft, die wir als
eine chemische, dem Geruch verwandte Sinnesthätigkeit
deuten, zu einander hingezogen, nähern sich und verschmelzen
mit einander. So entsteht durch die sinnliche Empfindung der beiden
Geschlechts-Kerne, in Folge von "erotischem Chemotropismus",
eine neue Zelle, welche die erblichen Eigenschaften beider Eltern in sich
vereinigt; der Sperma-Kern überträgt die väterlichen,
der Eikern die mütterlichen Charakterzüge auf die
Stammzelle, aus der die nun das Kind entwickelt; das gilt ebenso
von den körperlichen, wie von den sogenannten geistigen
Eigenschaften.
Keimanlage des Menschen. Die Bildung der Keimblätter
durch wiederholte Theilung der Stammzelle, die Entstehung der Gastrula
und der weiterhin aus ihr hervorgehenden Keimformen geschieht beim
Menschen genau so wie bei den übrigen höheren
Säugethieren, unter denselben eigenthümlichen
Besonderheiten, welche diese Gruppe vor den niederen Wirbelthieren
auszeichnen. In früheren Perioden der Keimesgeschichte sind
diese Special-Charaktere der Placentalien noch nicht ausgeprägt.
Die bedeutungsvolle Keimform der Chordula oder "Chordalarve",
die zunächst aus der Gastrula entsteht, zeigt bei allen Vertebraten
im Wesentlichen die gleiche Bildung: ein einfacher gerader Axenstab, die
Chorda, geht der Länge nach durch die Hauptaxe des
länglich-runden, schildförmigen Körpers (des
"Keimschildes"); oberhalb der Chorda entwickelt sich aus dem
äußeren Keimblatt das Rückenmark, unterhalb das
Darmrohr. Dann erst erscheinen zu beiden Seiten, rechts und links vom
Axenstab, die Ketten der "Urwirbel", die Anlagen der Muskelplatten, mit
denen die Gliederung des Wirbelthier-Körpers beginnt. Vorm am
Darm treten beiderseits die Kiemenspalten auf, die Oeffnungen des
Schlundes, durch welche ursprünglich bei unsern Firsch-Ahnen
das vom Munde aufgenommene Athemwasser an den Seiten des Kopfes
nach außen trat. In Folge zäher Vererbung treten
diese Kiemenspalten, die nur bei den fischartigen, im Wasser
lebenden Vorfahren von Bedeutung waren, auch heute noch beim
Menschen wie bei allen übrigen Vertebraten auf; sie
verschwinden später. Selbst nachdem schon am Kopfe die
fünf Hirnblasen, seitlich die Anfänge der Augen und Ohren,
sichtbar geworden, nachdem am Rumpfe die Anlagen der beiden
Beinpaare in Form rundlicher platter Knospen aus dem fischartigen
Menschenkeim hervorgesproßt sind, ist dessen Bildung derjenigen
anderer Wirbelthiere noch so ähnlich, daß man sie nicht
unterscheiden kann.
Aehnlichkeit der Wirbelthier-Keime. Die wesentliche
Uebereinstimmung in der äußeren Körperform und
dem inneren Bau, welche die Embryonen des Menschen und der
übrigen Vertebraten in dieser fruheren Bildungs-Periode zeigen,
ist eine embryologische Thatsache ersten Ranges; aus ihr lassen
sich nach dem biogenetischen Grundgesetze die wichtigsten
Schlüsse ableiten. Denn es giebt dafür keine andere
Erklärung, als die Annahme einer Vererbung von einer
gemeinsamen Stammform. Wenn wir sehen, daß in einem
bestimmten Stadium die Keime des Menschen und des Affen, des
Hundes und des Kaninchens, des Schweines und des Schafes zwar als
höhere Wirbelthiere erkennbar, aber sonst nicht zu unterscheiden
sind, so kann diese Thatsache eben nur durch gemeinsame Abstammung
erklärt werden. Und diese Erklärung erscheint um so
sicherer, wenn wir die später eintretende Sonderung oder
Divergenz jener Keimformen verfolgen. Je näher sich zwei
Thierformen in der gesammten Körperbildung und also auch im
natürlichen System stehen, desto länger bleiben sich auch
ihre Embryonen ähnlich, und desto enger hängen sie auch
im Stammbaum der betreffenden Gruppe zusammen, desto näher
sind sie "stammverwandt". Daher erscheinen die Embryonen des
Menschen und der Menschenaffen auch später noch höchst
ähnlich, auf einer hoch entwickelten Bildungsstufe, auf welcher
iher Unterschiede von den Embryonen anderer Säugethiere sofort
erkennbar sind. Ich habe diese bedeutungsvolle Thatsache sowohl in der
natürlichen Schöpfungsgeschichte (1898, Taf. 2 und 3) als in
der Anthropogenie (1891, Taf. 6-9) durch Zusammenstellung
entsprechender Bildungsstufen von einer Anzahl verschiedener
Wirbelthiere illustriert.
Die Keimhüllen des Menschen. Die hohe phylogenetische
Bedeutung der eben besprochenen Aehnlichkeit tritt nicht nur bei
Vergleichung der Vertebraten-Embryonen selbst hervor, sondern auch
bei derjenigen ihrer Keimhüllen. Es zeichnen sich nämlich
alle Wirbelthiere der drei höheren Klassen, Reptilien, Vögel
und Säugethiere, vor den niederen Klassen durch die Bildung
eigenthümlicher Embryonal-Hüllen aus, des Amnion
(Wasserhaut) und des Serolemma (seröse Haut). In diesem
mit Wasser gefüllten Säcken liegt der Embryo
eingeschlossen und ist dadurch gegen Druck und Stoß
geschützt. Diese zweckmäßige Schutzeinrichtung ist
wahrscheinlich erst während der permischen Periode entstanden,
als die ältesten Reptilien (Proreptilien) die gemeinsamen
Stammformen der Amnionthiere oder Amnioten,
vollständig an das Landleben sich anpaßten. Bei ihren
direkten Vorfahren, den Amphibien, fehlt diese
Hüllenbildung noch ebenso wie bei den Fischen; sie war bei diesen
Wasserbewohnern überflüssig. Mit der Erwerbung dieser
Schutzhüllen stehen bei allen Amnioten noch zwie andere
Veränderungen in engem Zusammenhang, erstens der
gänzliche Verlust der Kiemen (während die
Kiemenbögen und die Spalten dazwischen als "rudimentäre
Organe" sich forterben); und zweitens die Bildung der Allantois.
Dieser blasenförmige, mit Wasser gefüllte Sack wächst
bei dem Embryo aller Amnioten aus dem Enddarm hervor und ist nichts
Anderes als die vergrößerte Harnblase der Amphibioen-Ahnen. Aus ihrem
innersten und untersten Theile bildet sich
später die bleibende Harnblase der Amnioten, während der
größere äußere Theil rückgebildet wird.
Gewöhnlich spielt dieser eine Zeit lang eine wichtige Rolle als
Athmungs-Organ des Embryo, indem sich mächtige
Blutgefäße auf seiner Wand ausbreiten. Sowohl die Entstehen
der Keimhüllen (Amnion und Serolemma), als auch
der Allantois, geschieht beim Menschen genau ebenso, wie bei allen
anderen Amnioten und durch dieselben verwickelten Processe des
Wachsthums; der Mensch ist ein eches Amnionthier.
Die Placenta des Menschen. Die Ernährung des
menschlichen Keimens im Mutterleibe geschieht bekanntlich durch ein
eigenthümliches, äußerst blutreiches Organ, die
sogenannte Placenta, der Aderkuchen oder
Blutgefäßkuchen. Dieses wichtige Ernährungs-Organ
bildet eine schwammige kreisrunde Scheibe von 16-20 cm
Durchmesser, 3-4 cm Dicke und 1-2 Pfund Gewicht; sie wird nach
erfolgter Geburt des Kindes abgelöst und als sogenannte
"Nachgeburt" ausgestoßen. Die Placenta besteht aus zwei wesentlich
verschiedenen Theilen, dem Fruchtkuchen oder der kindlichen
Placenta (P. foetalis) und dem Mutterkuchen oder dem
mütterlichen Gefäßkuchen (P. uterina). Dieser
letztere enthält reichentwickelte Bluträume, welche ihre
Blut durch die Gefäße der Gebärmutter zugeführt
erhalten. Der Fruchtkuchen dagegen wird aus zahlreichen
verästelten Zotten gebildet, welche von der
Außenfläche der kindlichen Allantois hervorwachsen und ihr
Blut von deren Nabelgefäßen beziehen. Die hohlen,
blutgefüllten Zotten des Fruchtkuchens wachsen in die
Bluträume des Mutterkuchens hinein, und die zarte Scheidewand
zwischen beiden wird so sehr verdünnt, daß durch sie
hindurch ein unmittelbarer Stoff-Austausch der ernährenden
Blutflüssigkeit erfolgen kann (durch Osmose).
Bei den älteren und niederen Gruppen der Zottenthiere
(Placentalia) ist die ganze Oberfläche der
äußeren Fruchthülle (Chorion) mit zahlreichen
kurzen Zotten bedeckt; diese "Chorionzotten" wachsen in
grubenförmige Vertiefungen der Schleimhaut der
Gebärmutter hinein und lösen sich bei der Geburt leicht von
dieser ab. Das ist der Fall bei den meisten Hufthieren (z.B. Schwein,
Kameel, Pferd), bei den meisten Walthieren und Halbaffen; man hat
diese Malloplacentalien als Indeciduata bezeichnet (mit diffuser
Zottenhaut, Malloplacenta). Auch bei den übrigen
Zottenthieren und beim Menschen ist dieselbe Bildung anfänglich
vorhanden. Bald aber verändert sie sich, indem die Zotten auf
einem Theile des Chorion rückgebildet werden; auf dem anderen
Theile entwickeln sie sich dafür um so stärker und
verwachsen sehr fest mit der Schleimhaut des Uterus. In Folge dieser
innigen Verwachsung löst sich bei der Geburt ein Theil der
letzeren ab und wird unter Blutverlust entfernt. Diese hinfällige
Haut oder Siebhaut (Decidua) ist eine charakteristische
Bildung der höheren Zottenthiere, die man deshalb als
Deciduata zusammengefaßt hat; dahin gehören
namentlich die Raubthiere, Nagethiere, Affen und Menschen; bei den
Raubthieren und einzelnen Hufthieren (z.B. Elephanten) ist die Placenta
gürtelförmig (Zonoplacentalia), dagegen bei den
Nagethieren, bei den Insektenfressern (Maulwurf, Igel), bei den Affen
und Menschen scheibenförmig (Discoplacentalia).
Noch vor zehn Jahren glaubten die meisten Embryologen, daß sich
der Mensch durch gewisse Eigenthümlichkeiten in der Bildung
seiner Placenta auszeichne, namentlich durch den Besitz der
sogenannten Decidua reflexa, sowie durch die besondere Bildung
des Nabelstranges, welcher diese mit dem Keime verbindet; diese
eigenthümlichen Embryonal-Organe sollten den übrigen
Zottenthieren, und insbesondere den Affen fehlen. Der wichtige
Nabelstrang oder die Nabelschnur (Funiculus umbilicalis)
ist ein zylindrischer, weicher Strang von 40-60 cm Länge
und von der Dicke des kleinen Fingers (11-13 mm). Er stellt die
Verbindung zwischen dem Embryo und dem Mutterkuchen her, indem
er die ernährenden Blutgefäße aus dem Körper
des Keimes in den Fruchtkuchen leitet; außerdem enthält er
auch den Stiel der Allantois und des Dottersackes. Während nun
der Dottersack bei menschlichen Früchten aus der dritten Woche
der Schwangerschaft noch die größere Hälfte der
Keimblase darstellt, wird er später bald rückgebildet, so
daß man ihn früher bei reifen Früchten ganz
vermißte; doch ist er als Rudiment noch immer vorhanden und
auch nach der Geburt noch als winziges Nabelbläschen
(Vesicula umbilicalis) nachzuweisen. Auch die
blasenförmige Anlage der Allantois selbst wird beim Menschen
frühzeitig rückgebildet, was mit einer etwas abweichenden
Bildung des Amnion zusammenhängt, der Entstehung des
sogenannten "Bauchstiels". auf die komplicirten anatomischen
und embryologischen Verhältnisse dieser Bildungen, die ich in
meiner Anthropogenie (23. Vortrag) geschildert und illustrirt habe,
können wir hier nicht eingehen.
Die Gegner der Entwickelungslehre wiesen noch vor zehn Jahren auf
diese "ganz besonderen Eigenthümlichkeiten" der Fruchtbildung
beim Menschen hin, durch die er sich von allen anderen
Säugethieren unterscheiden sollte. Da wies 1890 Emil
Selenka nach, daß dieselben Eigenthümlichkeiten sich
auch bei den Menschenaffen finden, insbesondere beim Orang
(Satyrus), während sie den niederen Affen fehlen. Also
bestätigte sich auch hier wieder der Pithecometra-Satz von
Huxley: "Die Unterschiede zwischen den Menschen und den
Menschenaffen sind geringer als diejenigen zwischen den letzteren und
den niederen Affen." Die angeblichen "Beweise gegen die nahe
Blutsverwandtschaft des Menschen und der Affen" ergaben sich bei
genauer Untersuchung der thatsächlichen Verhältnisse auch
hier wieder umgekehrt als wichtige Gründe zu Gunsten
derselben.
Jeder Naturforscher, der mit offenen Augen in diese dunkeln, aber
höchst interessanten Labyrinth-Gänge unserer
Keimesgeschichte tiefer eindringt, und der im Stande ist, sie kritisch mit
derjenigen der übrigen Säugethiere zu vergleichen, wird in
denselben die bedeutungsvollsten Lichtträger für das
Verständniß unserer Stammesgeschichte finden. Denn die
verschiedenen Stufen der Keimbildung werfen als
palingenetische Vererbungs-Phänomene ein helles Licht
auf die entsprechenden Stufen unserer Ahnen-Reihe, gemäß
dem biogenetischen Grundgesetze. Aber auch die cenogenetischen
Anpassungs-Erscheinungen, die Bildung der vergänglichen
Embryonal-Organe - der charakteristischen Keimhüllen, und vor
allem der Placenta - geben uns ganz bestimmte Aufschlüsse
über unsere nahe Stammverwandtschaft mit den
Primaten.
Inhalt,
Kapitel
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,
10,
11,
12,
13,
14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
Copyright 1997.
Kurt Stüber
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