Inhalt,
Kapitel
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,
10,
11,
12,
13,
14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
Copyright 1997.
Kurt Stüber
Elftes Kapitel
Unsterblichkeit der Seele.
Monistische Studien über Thanatismus und Athanismus.
Kosmische und persönliche Unsterblichkeit. Aggregatszustand der
Seelen-Substanz
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Inhalt: Die Citadelle des Aberglaubens. Athanismus und
Thanatismus. Individueller Charakter des Todes. Unsterblichkeit der
Einzelligen (Protisten). Kosmische und persönliche Unsterblichkeit.
Primärer Thanatismus (bei Naturvölkern). Sekundärer
Thanatismus (bei älteren und neueren Philosophen). Athanismus
und Religion. Entstehung des Unsterblichkeitsglaubens. Christlicher
Athanismus. Das ewige Leben. Das jüngste Gericht. Metaphysischer
Athanismus. Seelen-Substanz. Aether-Seele. Luft-Seele. Flüssige
und feste Seelen. Unsterblichkeit der Thierseele. Beweise für und
gegen den Athanismus. Athanistische Illusionen.
Indem wir uns von der genetischen Betrachtung der Seele zu der
großen Frage ihrer "Unsterblichkeit" wenden, betreten wir jenes
höchste Gebiet des Aberglaubens, welches gewissermaßen
die unzerstörbare Citadelle aller mystischen und dualistischen
Vorstellungs-Kreise bildet. Denn bei dieser Kardinal-Frage knüpft
sich an die rein philosophischen Vorstellungen mehr als bei jedem
anderen Problem das egoistische Interesse der menschlichen Person,
welche um jeden Preis ihre individuelle Fortdauer über den Tod
hinaus garantirt haben will. Dieses "höhere
Gemüths-Bedürfniß" ist so mächtig, daß es alle
logischen
Schlüsse der kritischen Vernunft über den Haufen wirft.
Bewußt oder unbewußt werden bei den meisten Menschen
alle übrigen allgemeinen Ansichten, also auch die ganze
Weltanschauung, von dem Dogma der persönlichen Unsterblichkeit
beeinflußt, und an diesen theoretischen Irrthum knüpfen
sich praktische Folgerungen von weistestreichender Wirkung. Es wird
daher unsere Aufgabe sein, alle Seiten dieses wichtigen Dogmas kritisch
zu prüfen und seine Unhaltbarkeit gegenüber den
empirischen Erkenntnissen der modernen Biologie nachzuweisen.
Athanismus und Thanatismus. Um einen kurzen und
bequemen Ausdruck für die beiden entgegengesetzen
Grundanschauungen über die Unsterblichkeitslage zu haben,
bezeichnen wir den Glauben an die "persönliche Unsterblichkeit
des Menschen" als Athanismus (abgeleitet von Athanes
oder Athanatos = unsterblich). Dagegen nennen wir
Thanatismus) abgeleitet von Thanatos = Tod) die
Ueberzeugung, daß mit dem Tode des Menschen nicht nur alle
übrigen physiologischen Lebensthätigkeiten erlöschen,
sondern auch die "Seele" verschwindet, d. h. jene Summe von
Gehirn-Funktionen, welche der psychsiche Dualismus als ein eigenes
"Wesen", unabhängig von den übrigen Lebens-Aeußerungen des
lebendigen Körpers, betrachtet.
Indem wir hier das physiologische Problem des Todes
berühren, betonen wir nochmals den individuellen
Charakter dieser organischen Natur-Erscheinung. Wir verstehen unter
Tod ausschließlich das definitive Aufhören der
Lebensthätigkeit des organischen Individuums, gleichviel
welcher Kategorie oder welcher Stufenfolge der Individualität das
betreffende Einzelwesen angehört. Der Mensch ist todt, wenn seine
Person stirbt, gleichviel ob er gar keine Nachkommenschaft hinterlassen
hat, oder ob er Kinder erzeugt hat, deren Nachkommen sich durch viele
Generationen fruchtbar fortpflanzen. Man sagt ja in gewissem Sinne,
daß der "Geist" großer Männer (z. B. in einer Dynastie
hervorragender Herrscher, in einer Familie talentvoller Künstler)
durch Generationen fortlebt; und ebenso sagt man, daß die "Seele"
ausgezeichneter Frauen oft in den Kindern und Kindeskindern sich
forterhält. Allein in diesen Fällen handelt es sich stets um
verwickelte Vorgänge der Vererbung, bei welchen eine
abgelöste mikroskopische Zelle (die Spermazelle des Vaters, die
Eizelle der Mutter) gewisse Eigenschaften der Substanz auf die
Nachkommen überträgt. Die einzelnen Personen,
welche jene Geschlechtszellen zu Tausenden produciren, bleiben
trotzdem sterblich, und mit ihrem Tode erlischt ihre individuelle
Seelen-Thätigkeit ebenso wie jede andere physiologische Funktion.
Unsterblichkeit der Einzelligen. Neuerdings ist von mehreren
namhaften Zoologen - am eingehendsten 1882 von Weismann -
die Ansicht vertheidigt worden, daß nur die niedersten einzelligen
Organismen, die Protisten, unsterblich seien, im
Gegensatze zu allen vielzelligen Thieren und Pflanzen, deren
Körper aus Geweben zusammengesetzt ist. Besonders wurde diese
seltsame Auffassung dadurch begründet, daß die meisten
Protisten sich vorwiegend auf ungeschlechtlichem Wege vermehren,
durch Theilung oder Sporenbildung. Dabei zerfällt der ganze
Körper des einzelligen Organismus in zwei oder mehr
gleichwerthige Stücke (Tochterzellen), und jedes dieser
Stücke ergänzt sich wieder durch Wachstum, bis es der
Mutterzelle an Größe unf Form gleich geworden ist. Allein
durch den Theilungs-Proceß selbst ist ja bereits die
Individualität des einzelligen Organismus vernichtet,
ebenso die physiologische wie die morphologische Einheit. Der Begriff
des Individuums selbst, des "Untheilbaren", widerlegt logisch die
Auffassung von Weismann: denn er bedeutet ja eine
Einheit, die man nicht theilen kann, ohne ihr Wesen aufzuheben.
In diesem Sinne sind die einzelligen Urpflanzen (Protophyta) und
die einzelligen Urthiere (Protozoa) zeitlebens ebenso
Bionten oder physiologische Individuen, wie die Thiere.
Auch bei den letzteren kommt ungeschlechtliche Fortpflanzung durch
einfache Theilung vor (z. B. bei manchen Nesselthieren, Korallen,
Medusen u. A.); das Mutterthier, aus dessen Theilung die beiden
Tochterthiere hervorgehen, hat auch hier mit der Trennung
aufgehört zu existiren. Weismann behauptet: "Es giebt
keine Individuen und keine Generationen bei den Protozoen im
Sinne der Metazoen". Ich muß diesen Satz entschieden
bestreiten. Da ich selbst zuerst (1872) den Begriff der Metazoen
aufgestellt und diese vielzelligen, gewebebildenden Thiere den
einzelligen Protozoen (Infusorien, Rhizopoden u. s. w.)
gegenübergestellt habe, da ich selbst ferner zuerst den
principiellen Unterschied in der Entwickelung Beider (dort aus
Keimblättern, hier nicht) begründet habe, muß ich um
so mehr betonen, daß ich die Protozoen im physiologischen
(also auch im psychologischen Sinne!) ebenso für sterblich halte
wie die Metazoen; unsterblich ist in beiden Gruppen weder der
Leib noch die Seele. Die übrigen irrthümlichen Folgerungen
Weismanns« sind bereits (1884) durch Moebius widerlegt
worden, der mit Recht hervorhebt, daß "Alles in der Welt
periodisch geschieht", und daß es "keine Quelle giebt, aus
welcher unsterbliche organische Individuen hätten entspringen
können".
Kosmische und persönliche Unsterblichkeit. Wenn man
den Begriff der Unsterblichkeit ganz allgemein auffaßt und auf die
Gesammtheit der erkennbaren Natur ausdehnt, so gewinnt er
wissenschaftliche Bedeutung; er erscheint dann der monistischen
Philosophie nicht nur annehmbar, sondern selbstverständlich.
Denn die These von der Unzerstörbarkeit und ewigen Dauer alles
Seienden fällt dann zusammen mit unserm höchsten Natur-Gesetze, dem
Substanz-Gesetz (12. Kapitel). Da wir diese
kosmische Unsterblichkeit später, bei Begründung der Lehre
von der Erhaltung der Kraft und des Stoffes, ausführlich
erörtern werden, halten wir uns hier nicht weiter damit auf.
Vielmehr wenden wir uns sogleich zur Kritik jenes "Unsterblichkeits-Glaubens",
der gewöhnlich allein unter diesem Begriffe verstanden
wird, der Immortalität der persönlichen Seele. Wir
untersuchen zunächst die Verbreitung und Entstehung dieser
mystischen und dualistischen Vorstellung und betonen dabei besonders
die weite Verbreitung ihres Gegentheils, des monistischen
empirisch begründeten Thanatismus. Ich unterscheide hier
als zwei wesentlich verschiedene Erscheinungen desselben den
primären und den sekundären Thanatismus;
bei ersterem ist der Mangel des Unsterblichkeits-Dogmas ein
ursprünglicher (bei primitiven Naturvölkern); der
sekundäre Thanatismus dagegen ist das späte
Erzeugniß vernunftgemäßer Natur-Erkenntniß bei
hoch entwickelten Kulturvölkern.
Primärer Thanatismus (ursprünglicher Mangel der
Unsterblichkeits-Idee). In vielen philosophischen und besonders
theologischen Schriften lesen wir noch heute die Behauptung, daß
der Glaube an die persönliche Unsterblichkeit der menschlichen
Seele allen Menschen - oder doch allen "vernünftigen Menschen" -
ursprünglich gemeinsam sei. Das ist falsch. Dieses Dogma ist weder
eine urspüngliche Vorstellung der menschlichen Vernunft, noch
hat es jemals allgemeine Verbreitung gehabt. In dieser Beziehung ist vor
Allem wichtig die sichere, erst neuerdings durch die vergleichende
Ethnologie festgestellte Thatsache, daß mehrere Naturvölker
der ältesten und primitivsten Stufe ebenso wenig von einer
Unsterblichkeit als von einem Gotte irgend eine Vorstellung haben. Das
gilt namentlich von den Weddas auf Ceylon, jenen primitiven
Pygmäen, die wir auf Grund der ausgezeichneten Forschungen der
Herren Sarafin für einen Ueberrest der ältesten
indischen "Urmenschen" halten; ferner von mehreren ältesten
Stämmen der Australneger. Ebenso kennen mehrere der
primitivsten Urvölker der amerikanichen Rasse, im inneren
Brasilien, am oberen Amazonen-Strom u. s. w., weder Götter noch
Unsterblichkeit. Dieser primäre Mangel des
Unsterblichkeits- und Gottes-Glaubens ist eine wichtige Thatsache; er ist
selbstverständlich wohl zu unterscheiden von dem
sekundären Mangel desselben, welchen erst der
höchstentwickelte Kultur-Mensch auf Grund kritisch-philosophischer Studien
spät und mühsam gewonnen hat.
Sekundärer Thanatismus (erworbener Mangel der
Unsterblichkeits-Idee). Im Gegensatze zu dem primären
Thanatismus, der sicher bei den ältesten Urmenschen
ursprünglich bestand und immer eine weite Verbreitung
besaß, ist der sekundäre Mangel des Immortalitäts-Glaubens erst
spät entstanden; er ist erst die reife Frucht
eingehenden Nachdenkens über "Leben und Tod", also ein Produkt
echter und unabhängiger Reflexion. Als socher tritt er uns schon
im sechsten Jahrhundert vor Chr. bei einem Theile der ionischen
Naturphilosophen entgegen, später bei den Gründern der
alten materialistischen Philosophie, bei Demokritos und
Empedokles, aber auch bei Simonides und Epikur,
bei Seneca und Plinius, am meisten durchgebildet bei
Lucretius Carus. Als dann nach dem Untergange des klassichen
Alterthums das Christenthum sich ausbreitete, gewann mit ihm der
Athanismus, als einer seiner wichtigsten Glaubens-Artikel, die
höchste Bedeutung.
Während der langen Geistesnacht des christlichen Mittelalters
wagte begreiflicher Weise nur selten ein kühner Freidenker seine
abweichende Ueberzeugung zu äußern; die Beispiele von
Galilei, von Giordano Bruno und anderen
unabhängigen Philosophen, welche von den "Nachfolgern Christi"
der Tortur und dem Scheiterhaufen überliefert wurden,
schreckten genügend jedes freie Bekenntniß ab. Dieses wurde
erst wieder möglich, nachdem die Reformation und die
Renaissance die Allmacht des Papismus gebrochen hatten. Die Geschichte
der neueren Philosophie zeigt die mannigfaltigen Wege, auf denen die
gereifte menschliche Vernunft dem Aberglauben der Unsterblichkeit zu
entrinnen versuchte. Immerhin verlieh demselben trotzdem die enge
Verknüpfung mit dem christlichen Dogma auch in den freieren
protestantischen Kreisen solche Macht, daß selbst die meisten
überzeugten Freidenker ihre Meinung still für sich
behielten. Nur selten wagten einzelne hervorragende Männer ihre
Ueberzeugung von der Unmöglichkeit der Seelen-Fortdauer nach
dem Tode frei zu bekennen. Besonders geschah dies in der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich von
Voltaire, Danton, Mirabeau u. A., ferner von den
Hauptvertretern des damaligen Materialismus, Holbach,
Lamettrie u. A. Dieselbe Ueberzeugung vertrat auch der
geistreiche Freund der Letzteren, der größte aller
Hohenzollern-Fürsten, der monistische "Philosoph von Sans-Souci".
Was würde Friedrich der Große, dieser
"gekrönte Thanatist und Atheist", sagen, wenn er heute
seine monistischen Ueberzeugungen mit denjenigen seiner Nachfolger
vergleichen könnte!
Unter den denkenden Aerzten ist die Ueberzeugung, daß mit
dem Tode des Menschen auch die Existenz seiner Seele aufhöre,
wohl seit Jahrhunderten sehr verbreitet gewesen; aber auch sie
hüteten sich meistens wohl, dieselbe auszusprechen. Auch blieb
immerhin noch im 18. Jahrhundert die empirische Kenntniß des
Gehirns so unvollkommen, daß die "Seele" als ein
räthselhafter Bewohner desselben ihre freie Existenz fortfristen
konnte. Endgültig beseitigt wurde dieselbe erst durch die
Riesenfortschritte der Biologie im 19. Jahrhundert, und besonders in
dessen zweiter Hälfte. Die Begründung der Descendenz-Theorie und der
Zellen-Theorie, die überraschenden Entdeckungen
der Ontogenie und der Experimental-Physiologie, vor Allem aber die
bewunderswürdigen Fortschritte der mikroskopischen Gehirn-Anatomie entzogen
dem Athanismus allmählich jeden Boden, so
daß jetzt nur selten ein fachkundiger und ehrlicher Biologe noch
für die Unsterblichkeit der Seele eintritt. Die monistischen
Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts (Strauß,
Feuerbach, Büchner, Rau, Spencer u. s.
w.) sind sämmtlich überzeugte Thanatisten.
Athanismus und Religion. Die weiteste Verbreitung und die
höchste Bedeutung hat das Dogma der persönlichen
Unsterblichkeit erst durch seine innige Verbindung mit den
Glaubenslehren des Christenthums gefunden; und diese hat auch
zu der irrhümlichen, heute noch sehr verbreiteten Ansicht
geführt, daß dasselbe überhaupt einen wesentlichen
Grundbestandteil jeder geläuterten Religion bilde. Das ist
durchaus nicht der Fall! Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele
fehlt vollständig den meisten höher entwickelten
orientalischen Religionen; er fehlt dem Buddhismus, der noch
heute über 30 Prozent der gesammten menschlichen
Bevölkerung der Erde beherrscht; er fehlt ebenso der alten Volks-Religion
der Chinesen wie der reformirten, später an deren Stelle
getretenen Religion des Confucius; und was das Wichtigste ist, er
fehlt der älteren und reineren jüdischen Religion; weder in
den fünf Büchern Moses« noch in jenen älteren
Schriften des Alten Testaments, welche vor dem babylonischen Exil
geschrieben wurden, ist die Lehre von der individuellen Fortdauer nach
dem Tode zu finden.
Entstehung der Unsterblichkeits-Glaubens. Die mystische
Vorstellung, daß die Seele des Menschen nach seinem Tode
fortdauere und unsterblich weiterlebe, ist sicher polyphyletisch
entstanden; sie fehlte dem ältesten, schon mit Sprache begabten
Urmenschen (dem hypothetischen Homo primigenius
Asiens) gewiß ebenso wie seinen Vorfahren, dem
Pithecanthropus und Prothylobates, und wie seinen
modernen, wenig entwickelten Nachkommen, den Weddas von Ceylon,
den Seelongs von Indien und anderen weit entfernt wohnenden Natur-Völkern.
Erst bei zunehmender Vernunft, bei eingehenderem
Nachdenken über Leben und Tod, über Schlaf und Traum,
entwickelten sich bei verschiedenen älteren Menschen-Rassen -
unabhängig von einander - mysthische Vorstellungen über
die dualistische Komposition unseres Organismus. Sehr verschiedene
Motive werden bei diesem polyphyletischen Vorgange
zusammengewirkt haben: Ahnen-Kultus, Verwandten-Liebe, Lebenslust
und Wunsch der Lebens-Verlängerung, Hoffnung auf bessere
Lebens-Verhältnisse im Jenseits, Hoffnung auf Belohnung der
guten und Bestrafung der schlechten Thaten u. s. w. Die vergleichende
Psychologie hat uns neuerdings eine große Anzahl von sehr
verschiedenen derartigen Glaubens-Dichtungen kennen gelehrt;
großentheils hängen dieselben eng zusammen mit den
ältesten Formen des Gottesglaubens und der Religion
überhaupt. In den meisten modernen Religionen ist der
Athanismus eng verknüpft mit dem Theismus, und
die materialistische Vorstellung, welche sich die meisten
Gläubigen von ihrem "persönlichen Gott" bilden,
übertragen sie auf ihre "unsterbliche Seele". Das gilt vor Allem von
der herrschenden Weltreligion der modernen Kulturvölker, vom
Christenthum. (Vergl. Adalbert Svoboda, Gestalten des Glaubens.
1897).
Christlicher Unsterblichkeits-Glaube. Wie allgemein bekannt,
hat das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele in der christlichen
Religion schon lange diejenige feste Form angenommen, welche sich in
dem Glaubens-Artikel ausspricht; "Ich glaube an die Auferstehung des
Fleisches und ein ewiges Leben." Wie am Osterfest Christus selbst von
den Todten auferstanden ist und nun in Ewigkeit als "Gottes Sohn,
sitzend zur rechten Hand Gottes", gedacht wird, gedacht wird,
versinnlichen uns unzählige Bilder und Legenden. In gleicher
Weise wrid auch der Mensch "am jüngsten Tage auferstehen" und
seinen Lohn für die Führung seines einstigen Erdenlebens
empfangen. Dieser ganze christliche Vorstellungskreis ist durch und
durch materialistisch und anthropistisch; er erhebt sich nicht viel
über die entsprechenden Vorstellungen vieler niederer
Naturvölker. Daß die "Auferstehung des Fleisches"
unmöglich ist, weiß eigentlich Jeder, der einige Kenntnisse in
Anatomie und Physiologie besitzt. Die Auferstehung Christi, welche von
Millionen gläubiger Christen an jedem Osterfeste gefeiert wird, ist
ebenso ein reiner Mythus wie die "Auferweckung von den Todten",
welche derselbe mehrfach ausgeführt haben soll. Für die
reine Vernunft sind diese mystischen Glaubens-Artikel ebenso
unannehmbar wie die damit verknüpfte Hypothese eines "ewigen
Lebens".
Das ewige Leben. Die phantastischen Vorstellungen, welche die
christliche Kirche über die ewige Fortdauer der unsterblichen
Seele nach dem Tode des Leibes lehrt, sind ebenso rein materialistisch
wie das damit verknüpfte Dogma von der "Auferstehung des
Fleisches". Sehr richtig bemerkt in dieser Beziehung Savage in
seinem interessanten Werke "Die Religion im Lichte der Darwin«schen
Lehre" (1880): "Eine der stehenden Anklagen der Kirche gegen die
Wissenschaft lautet, daß letztere materialistisch sei. Ich
möchte im Vorbeigehen darauf aufmerksam machen, daß
die ganze kirchliche Vorstellung vom zukünftigen leben von
jeher und noch jetzt der reinste Materialismus war und ist. Der
materielle Leib soll auferstehen und in einem materiellen Himmel
wohnen". Um sich hiervon zu überzeugen, braucht man nur
unbefangen eine der unzähligen Predigten oder auch der
phrasenreichen, neuerdings sehr beliebten Tischreden zu lesen, in denen
die Herrlichkeit des ewigen Lebens als höchstes Gut des Christen
und der Glaube daran als Grundlage der Sittenlehre gepriesen wird. Da
erwarten den frommen spiritualistischen Gläubigen im "Paradiese"
alle Freuden des hochentwickelten geselligen Kultur-Lebens,
während die gottlosen Materialisten vom "liebenden Vater" durch
ewige Höllenqualen gemartert werden.
Metaphysischer Unsterblichkeits-Glaube. Gegenüber
dem materialistischen Athanismus, welcher in der christlichen und
mohammedanischen Kirche herrschend ist, vertritt scheinbar eine
reinere und höhere Glaubensform der metaphysische
Athanismus, wie ihn die meisten dualistischen und spiritualistischen
Philosophen lehren. Als der bedeutendste Begründer desselben ist
Plato zu betrachten; er lehrte schon im vierten Jahrhundert vor
Christus jenen vollkommenen Dualismus zwischen Leib und Seele,
welcher dann in der christlichen Glaubenslehre zu einem der theoretisch
wichtigsten und praktisch wirkungsvollsten Artikel wurde. Der Leib ist
sterblich, materiell, physisch; die Seele unsterblich, immateriell,
metaphysisch. Beide sind nur während des individuellen Lebens
vorübergehend verbunden. Da Plato ein ewiges Leben der
autonomen Seele sowohl vor als nach dieser zeitweiligen Verbindung
annimmt, ist er auch Anhänger der "Seelenwanderung"; die
Seelen existieren als solche, als "ewige Ideen", schon bevor sie in den
menschlichen Körper eintraten. Nachdem sie denselben verlassen,
suchen sie sich als Wohnort einen anderen Körper aus, der ihrer
Beschaffenheit am meisten angemessen ist; die Seelen von grausamen
Tyrannen schlüpfen in den Körper von Wölfen und
Geiern, diejenigen von tugendhaften Arbeitern in den Leib von Bienen
und Ameisen u. s. w. Die kindlichen und naiven Anschauungen dieser
platonischen Seelenlehre liegen auf der Hand; bei weiterem Eindringen
erscheinen sie völlig unvereinbar mit den sichersten
psychologischen Erkenntnissen, welche wir der modernen Anatomie und
Physiologie, der fortgeschrittenen Histologie und Ontogenie verdanken;
wir erwähnen sie hier nur, weil sie trotz ihrer Absurdität
den größten kulturhistorischen Einfluß erlangten. Denn
einerseits knüpfte an die platonische Seelenlehre die Mystik der
Neuplatoniker an, welche in das Christenthum Eingang gewann;
andererseits wurde sie später zu einem Hauptpfeiler der
spitualistischen und idealistischen Philosophie. Die platonische
"Idee" verwandelte sich später in den Begriff der
Seelen-Substanz, die allerdings ebenso unfaßbar und metaphysisch
ist, aber doch oft einen physikalischen Anschein gewann.
Seelen-Substanz. Die Auffassung der Seele als
"Substanz" ist bei vielen Psychologen sehr unklar; bald wird
dieselbe in abstraktem und idealistischem Sinne als ein "immaterielles
Wesen" von ganz eigenthümlicher Art betrachtet, bald in
konkretem und realistischen Sinne, bald als ein unklares Mittelding
zwischen beiden. Halten wir an dem monistischen Substanz-Begriffe
fest, wie wir ihn (im 12. Kapitel) als einfachste Grundlage unserer
gesammten Weltanschauung entwickeln, so ist in demselben
Energie und Materie untrennbar verbunden. Dann
müssen wir an der "Seelen-Substanz" die eigentliche, uns allein
bekannte psychische Energie unterscheiden (Empfinden,
Vorstellung, Wollen) und die psychische Materie, durch welche
allein dieselbe zur Wirkung gelangen kann, also das lebendige
Plasma. Bei den höheren Thieren bildet dann der
"Seelenstoff" einen Theil des Nerven-Systems, bei den niederen
nervenlosen Thieren und den Pflanzen einen Theil ihres vielzelligen
Plasma-Körpers, bei den einzelligen Protisten einen Theil ihres
plasmatischen Zellen-Körpers. Somit kommen wir wieder auf die
Seelen-Organe und gelangen zu der naturgemäßen
Erkenntniß, daß diese materiellen Organe für die
Seelenthätigkeit unentbehrlich sind; die Seele selbst aber ist
aktuell, ist die Summe ihrer physiologischen Funktionen.
Ganz andes gestaltet sich der Begriff der specifischen Seelen-Substanz
bei jenen dualistischen Philosophen, welche eine solche annehmen. Die
unsterbliche "Seele" soll dann zwar materiell sein, aber doch unsichtbar
und ganz verschieden von dem sichtbaren Körper, in welchem sie
wohnt. Die Unsichtbarkeit der Seele wird dabei als ein sehr
wesentliches Attribut derselben betrachtet. Einige vergleichen dabei die
Seele mit dem Aether und betrachten sie gleich diesem als einen
äußerst feinen und leichten, höchst beweglichen Stoff
oder ein imponderables Agens, welches überall zwischen den
wägbaren Theilchen des lebendigen Organismus schwebt. Andere
hingegen vergleichen die Seele mit dem wehenden Winde und schreiben
ihr also einen gasförmigen Zustand zu; und dieser Vergleich ist ja
auch derjenige, welcher zuerst bei den Naturvölkern zu der
später so allgemein gewordenen dualistischen Auffassung
führte. Wenn der Mensch starb, blieb der Körper als todte
Leiche zurück; die unsterbliche Seele aber "entfloh mit dem
letzten Athemzuge".
Aether-Seele. Die Vergleichung der menschlichen Seele mit
dem physikalischen Aether als qualitativ ähnlichem Gebilde hat in
neuerer Zeit eine konkretere Gestalt gewonnen durch die
großartigen Fortschritte der Optik und der Elektrizität
(besonders im letzten Decennium); denn diese haben uns mit der
Energie des Aethers bekannt gemacht und damit zugleich gewisse
Schlüsse auf die materielle Natur dieses raumerfüllenden
Wesens gestattet. Da ich diese wichtigen Verhältnisse später
(im 12. Kapitel) besprechen werde, will ich mich hier nicht weiter dabei
aufhalten, sondern nur kurz darauf hinweisen, daß dadurch die
Annahme einer Aether-Seele vollkommen unhaltbar geworden
ist. Eine solche "ätherische Seele", d. h. eine Seelen-Substanz,
welche dem physikalischen Aether ähnlich ist und gleich
ihm zwischen den wägbaren Theilchen des lebendigen Plasma
oder den Gehirn-Molekeln schwebt, kann unmöglich individuelles
Seelenleben hervorbringen. Weder die mystischen Anschauungen,
welche darüber um die Mitte unseres Jahrhunderts lebhaft
diskutirt wurden, noch die Versuche des modernen
Neovitalismus, die mystische "Lebenskraft" mit dem
physikalischen Aether in Beziehung zu setzen, sind heute mehr der
Widerlegung bedürftig.
Luft-Seele. Viel allgemeiner verbreitet und auch heute noch in
hohem Ansehen steht jene Anschauung, welche der Seelen-Substanz
eine gasförmige Beschaffenheit zuschreibt. Uralt ist die
Vergleichung des menschlichen Athemzuges mit dem wehenden
Windhauche; beide wurden ursprünglich für identisch
gehalten und mit demselben Namen belegt. Anemos und
Psyche der Griechen, Anima und Spiritus der
Römer sind ursprünglich Bezeichnungen für den
Lufthauch des Windes; sie wurden von diesem auf den Athemhauch des
Menschen übertragen. Später wurde dann dieser "lebendige
Oden" mit der "Lebenskraft" identificirt und zuletzt als das Wesen der
Seele selbst angesehen oder in engerem Sinne als deren höchste
Aeußerung der "Geist". Davon leitete dann weiterhin wieder die
Phantasie die mystische Vorstellung der individuellen Geister ab, der
"Gespenster" ("Spirits"); auch diese werden ja heute noch
meistens als "luftförmige Wesen" - aber begabt mit den
physiologischen Funktionen des Organismus! - vorgestellt; in machen
berühmten Spiritisten-Kreisen weden dieselben freilich trotzdem
fotographiert!.
Flüssige und feste Seele. Der Experimental-Physik ist es in
den letzten Decennien des 19. Jahrhunderts gelungen, alle
gasförmigen Körper in den tropfbar-flüssigen - und
die meisten auch in den festen - Aggregat-Zustand
überzuführen. Es bedarf dazu weiter nichts als geeigneter
Apparate, welche unter sehr hohem Druck und bei sehr niederer
Temperatur die Gase sehr stark komprimieren. Nicht allein die
luftförmigen Elemente, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, sondern
auch zusammengesetzte Gase (Kohlensäure) und Gas-Gemenge
(atmosphärische Luft) sind so aus dem luftförmigen in den
flüssigen Zustand versetzt worden. Dadurch sind aber jene
unsichtbaren Körper für Jedermann sichtbar
und in gewissem Sinne "handgreiflich" geworden. Mit dieser Aenderung
der Dichtigkeit ist der mystische Nymbus verschwunden, welcher
früher das Wesen der Gase in der gemeinen Anschauung
verschleierte, als unsichtbare Körper, die doch sichtbare
Wirkungen ausüben. Wenn nun die Seelen-Substanz wirklich, wie
viele "Gebildete" noch heute glauben, gasförmig wäre, so
müßte man auch im Stande sein, sie durch Anwendung von
hohem Druck und sehr niederer Temperatur in den flüssigen
Zustand überzuführen. Man könnte dann die Seele,
welche im Momente des Todes "ausgehaucht" wird, auffangen, unter
sehr hohem Druck bei niederer Temperatur kondensiren und in einer
Glasflasche als "unsterbliche Flüssigkeit" aufbewahren
(Fluidum animae immortale). Durch weitere Abkühlung und
Kondensation müßte es dann auch gelingen, die flüssige
Seele in den festen Zustand überzuführen ("Seelen-Schnee").
Bis jetzt ist das Experiment nicht gelungen.
Unsterblichkeit der Thierseele. Wenn der Athanismus wahr
wäre, wenn wirklich die "Seele" des Menschen in alle Ewigkeit
fortlebte, so müßte man ganz dasselbe auch für die
Seele der höheren Thiere behaupten, mindestens für
diejenige der nächststehenden Säugethiere (Affen, Hunde u.
s. w.). Denn der Mensch zeichnet sich vor diesen letzteren nicht durch
eine besondere Art oder eine eigenthümliche, nur ihm
zukommende Funktion der Psyche aus, sondern lediglich durch einen
höheren Grad der psychischen Thätigkeit, durch eine
vollkommenere Stufe ihrer Entwicklung. Besonders ist bei vielen
Menschen (aber durchaus nicht bei allen!) das Bewußtsein
höher entwickelt als bei den meisten Thieren, die Fähigkeit
der Ideen-Associon, des Denkens und der Vernunft. Indessen ist dieser
Unterschied bei Weitem nicht so groß, als man gewöhnlich
annimmt; und er ist in jeder Beziehung viel geringer als der
entsprechende Unterschied zwischen den höheren und niederen
Thierseelen oder selbst als der Unterschied zwischen den höchsten
und tiefsten Stufen der Menschenseele. Wenn man also der letzteren
"persönliche Unsterblichkeit" zuschreibt, so muß man sie
auch den höheren Thieren zugestehen.
Diese Ueberzeugung von der individuellen Unsterblichkeit der Thiere ist
denn auch ganz naturgemäß bei vielen Völkern alter
und neuer Zeit zu finden; aber auch jetzt noch bei vielen denkenden
Menschen, welche für sich selbst ein "ewiges Leben" in Anspruch
nehmen und gleichzeitig eine gründliche empirische Kenntniß
des Seelenlebens der Thiere besitzen. Ich kannte einen alten
Oberförster, der frühzeitig verwitwet und kinderlos, mehr
als dreißig Jahre einsam in einem herrlichen Walde von
Ostpreußen gelebt hatte. Seinen einzigen Umgang bildeten einige
Dienstleute, mit denen er nur die nöthigsten Worte wechselte, und
eine große Meute der verschiedensten Hunde, mit denen er im
innigsten Seelen-Verkehr lebte. Durch vieljährige Erziehung und
Dressur derselben hatte sich dieser feinsinnige Beobachter und
Naturfreund tief in die individuelle Psyche seiner Hunde eingelebt, und
er war von deren persönlicher Unsterblichkeit ebenso fest
überzeugt, wie von seiner eigenen. Einzelne seiner intelligentesten
Hunde standen nach seinem objektiven Vergleiche auf einer
höheren psychischen Stufe als seine alte, stumpfsinnige Magd und
der rohe, einfältige Knecht. Jeder unbefangene Beobachter, der
Jahre lang das bewußte und intelligente Seelenleben
ausgezeichneter Hunde studirt, der aufmerksam die physiologischen
Vorgänge ihres Denkens, Urtheilens, Schließens verfolgt hat,
wird zugeben müssen, daß sie mit gleichem Rechte die
"Unsterblichkeit" für sich in Anspruch nehmen können wie
der Mensch.
Beweise für den Athanismus. Die Gründe, welche
man seit zweitausend Jahren für die Unsterblichkeit der Seele
anführt, und welche auch heute noch dafür geltend gemacht
werden, entspringen zum größten Theile nicht dem Streben
nach Erkenntniß der Wahrheit, sondern vielmehr dem sogenannten
"Bedürfniß des Gemüthes", d. h. dem Phantasieleben
und der Dichtung. Um mit Kant zu reden, ist die Unsterblichkeit
der Seele nicht ein Erkenntniß-Objekt der reinen Vernunft,
sondern ein "Postulat der praktischen Vernunft". Diese letztere
und die mit ihr zusammenhängenden "Bedürfnisse des
Gemüthes, der moralischen Erziehung" u. s. w. müssen wir
aber ganz aus dem Spiele lassen, wenn wir ehrlich und unbefangen zur
reinen Erkenntniß der Wahrheit gelangen wollen; denn
diese ist einzig und allein durch empirisch begründete und logisch
klare Schlüsse der reinen Vernunft möglich. Es gilt also hier
von Athanismus dasselbe, wie vom Theismus; beide sind
nur Gegenstände der mystischen Dichtung, des transcendenten
"Glaubens", nicht der vernünftig schließenden
Wissenschaft.
Wollten wir alle die einzelnen Gründe analysiren, welche für
den Unsterblichkeits-Glauben geltend gemacht worden sind, so
würde sich ergeben, daß nicht ein einziger derselben wirklich
wissenschaftlich ist; kein einziger verträgt sich mit den
klaren Erkenntnissen, welche wir duch die physiologische Psychologie
und die Entwickelungs-Theorie in den letzten Decennien gewonnen
haben. Der theologische Beweis, daß ein persönlicher
Schöpfer dem Menschen eine unsterbliche Seele (meistens als
Theil seiner eigenen Gottes-Seele betrachtet) eingehaucht habe, ist
reiner Mythus. Der kosmologische Beweis, daß die "sittliche
Weltordnung" die ewige Fortdauer der menschlichen Seele erfordere, ist
unbegründetes Dogma. Der teleologische Beweis, daß
die "höhere Bestimmung" des Menschen eine volle Ausbildung
seiner mangelhaften irdischen Seele im Jenseits erfordere, beruht auf
einem falschen Anthropismus. Der moralische Beweis, daß
die Mängel und die unbefriedigten Wünsche des irdischen
Daseins durch eine "ausgleichende Gerechtigkeit" im Jenseits befriedigt
werden müssen, ist ein frommer Wunsch, weiter nichts. Der
ethnologische Beweis, daß der Glaube an die Unsterblichkeit
ebenso wie an Gott eine angeborene, allen Menschen gemeinsame
Wahrheit sei, ist ein thatsächlicher Irrthum. Der
ontologische Beweis, daß die Seele als ein "einfaches,
immaterielles und untheilbares Wesen" unmöglich mit dem Tode
verschwinden könne, beruht auf einer ganz falschen Auffassung
der psychischen Erscheinungen; sie ist ein spiritualistischer Irrthum.
Alle diese und andere ähnliche "Beweise für den
Athanismus" sind hinfällig geworden; sie sind durch die
wissenschaftliche Kritik der letzten Decennien definitiv
widerlegt.
Beweise gegen den Athanismus. Gegenüber den
angeführten, sämmtlich unhaltbaren Gründen
für die Unsterblichkeit der Seele ist es bei der hohen
Bedeutung dieser Frage wohl zweckmäßig, die
wohlbegründeten, wissenschaftlichen Beweise gegen
dieselbe hier kurz zusammenzufassen. Der physiologische Beweis
lehrt uns, daß die menschliche Seele ebenso wie die der
höheren Thiere kein selbstständiges, immaterielles Wesen
ist, sondern der Kollektiv-Begriff für eine Summe von Gehirn-Funktionen;
diese sind ebenso wie alle anderen
Lebensthätigkeiten durch physikalische und chemische Processe
bedingt, also auch dem Substanz-Gesetze unterworfen. Der
histologische Beweis gründet sich auf den höchst
verwickelten mikroskopischen Bau des Gehirns und lehrt uns in den
Ganglien-Zellen desselben die wahren "Elementar-Organe der Seele"
kennen. Der experimentelle Beweis überzeugt uns, daß
die einzelnen Seelenthätigkeiten an einzelne Bezirke des Gehirns
gebunden sind; werden diese Bezirke zerstört, so erlischt damit
auch deren Funktion; insbesondere gilt dies von den "Denkorganen", den
einzigen centralen Werkzeugen des "Geisteslebens". Der
pathologische Beweis ergänzt den physiologischen; wenn
bestimmte Gehirn-Bezirke (Sprach-Centrum, Sehsphäre,
Hörsphäre) durch Krankheit zerstört werden, so
verschwindet auch deren Arbeit (Sprechen, Sehen, Hören); die
Natur selbst führt hier das entscheidende physiologische
Experiment aus. Der ontogenetische Beweis führt uns
unmittelbar die Thatsachen der individuellen Entwickelung der Seele
vor Augen; wir sehen, wie die Kindesseele ihre einzelnen
Fähigkeiten nach und nach entwickelt; der Jüngling bildet
sich zur vollen Blüte, der Mann zur reifen Frucht aus im Greisen-Alter
findet allmähliche Rückbildung der Seele statt,
entsprechend der senilen Degeneration des Gehirns. Der
phylogenetische Beweis stützt sich auf die
Paläontologie, die vergleichende Anatomie und Physiologie des
Gehirns; in ihrer gegenseitigen Ergänzung begründen diese
Wissenschaften vereinigt die Gewißheit, daß das Gehirn des
Menschen (und also auch dessen Funktion, die Seele) sich stufenweise
und allmählich aus demjenigen der Säugethiere und
weiterhin der niederen Wirbelthiere entwickelt hat.
Athanistische Illusionen. Die vorhergehenden Untersuchungen,
die durch viele andere Egebnisse der modernen Wissenschaft
ergänzt werden könnten, haben das alte Dogma von der
"Unsterblichkeit der Seele" als völlig unhaltbar nachgewiesen;
dasselbe kann im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr Gegenstand
ernster wissenschaftlicher Forschung, sondern nur noch des
transcendenten Glaubens sein. Die "Kritik der reinen Vernunft"
weist aber nach, daß dieser hochgeschätzte Glaube, bei Licht
betrachtet, der reine Aberglaube ist, ebenso wie der oft damit
verknüpfte Glaube an den "persönlichen Gott". Nun halten
aber noch heute Millionen von "Gläubigen" - nicht nur aus den
niederen, ungebildeten Volksmassen, sondern aus den höheren
und höchsten Bildungskreisen - diesen Aberglauben für ihr
theuerstes Besitzthum, für ihren "kostbaren Schatz". Es wird daher
nöthig sein, in den damit verknüpften Vorstellungs-Kreis
noch etwas tiefer einzugehen und - seine Wahrheit vorausgesetzt -
seinen wirklichen Werth einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Da ergiebt sich denn für den objektiven Kritiker die Einsicht,
daß jener Werth zum größten Theile auf Einbildung
beruht, auf Mangel an klarem Urtheil und an folgerichtigem Denken. Der
definitive Verzicht auf diese "athanistischen Illusionen"
würde nach meiner festen und ehrlichen Ueberzeugung für
die Menschheit nicht nur keinen schmerzlichen Verlust, sondern
einen unschätzbaren positiven Gewinn bedeuten.
Das menschliche "Gemüths-Bedürfniß" hält
den Unsterblichkeits-Glauben besonders aus zwei Gründen fest,
erstens in der Hoffnung auf ein besseres zukünftiges Leben im
Jenseits, und zweitens in der Hoffnung auf ein Wiedersehen der theuren
Lieben und Freunde, welche uns der Tod hier entrissen hat. Was
zunächst die erste Hoffnung betrifft, so entspricht sie einem
natürlichen Vergeltungs-Gefühl, das zwar subjektiv
berechtigt, aber objektiv ohne jeden Anhalt ist. Wir erheben
Ansprüche auf ein Entschädigung für die zahllosen
Mängel und traurigen Erfahrungen dieses irdischen Daseins, ohne
irgend eine reale Aussicht oder Garantie dafür zu besitzen. Wir
verlangen eine unbegrenzte Dauer eines ewigen Lebens, in welchem wir
nur Lust und Freude, keine Unlust und keinen Schmerz erfahren wollen.
Die Vorstellungen der meisten Menschen über dieses "selige Leben
im Jenseits" sind höchst seltsam und um so sonderbarer, als darin
die "immaterielle Seele" sich an höchst materiellen Genüssen
erfreut. Die Phantasie jeder gläubigen Person gestaltet sich diese
permanente Herrlichkeit entsprechend ihren persönlichen
Wünschen. Der amerikanische Indianer, dessen Athanismus
Schiller in seiner nadowessischen Todtenklage so anschaulich
schildert, hofft in seinem Paradiese die herrlichsten Jagdgründe zu
finden, mit unermeßlich vielen Büffeln und Bären; der
Eskimo erwartet dort sonnenbestrahlte Eisflächen mit einer
unerschöpflichen Fülle von Eisbären, Robben und
anderen Polarthieren; der sanfte Singhalese gestaltet sich sein
jenseitiges Paradies entsprechend dem wunderbaren Insel-Paradiese
Ceylon mit seinen herrlichen Gärten und Wäldern; nur setzt
er voraus, daß jederzeit unbegrenzte Mengen von Reis und Curry,
von Kokosnüssen und anderen Früchten bereit stehen; der
mohammedanische Araber ist überzeugt, daß in seinem
Paradiese blumenreiche, schattige Gärten sich ausdehnen,
durchrauscht von kühlen Quellen und bevölkert mit den
schönsten Mädchen; der katholische Fischer in Sicilien
erwartet dort täglich einen Ueberfluß der köstlichsten
Fische und der feinsten Maccaroni, und ewigen Ablaß für alle
Sünden, die er auch im ewigen Leben noch täglich begehen
kann; der evangelische Nordeuropäer hofft auf einen
unermeßlichen gothischen Dom, in welchem "ewige
Lobgesänge auf den Herrn der Heerscharen" ertönen. Kurz,
jeder Gläubige erwartet von seinem ewigen Leben in Wahrheit
eine direkte Fortsetzung seines individuellen Erden-Daseins, nur in einer
bedeutend "vermehrten und verbesserten Auflage".
Besonders muß hier noch die durchaus materialistische
Grundanschauung des christlichen Athanismus betont werden,
die mit dem absurden Dogma von der "Auferstehung des Fleisches" eng
zusammenhängt. Wie uns Tausende von Oelgemälden
berühmter Meister versinnlichen, gehen die "auferstandenen
Leiber" mit ihren "wiedergeborenen Seelen" droben im Himmel gerade
so spazieren, wie hier im Jammerthal der Erde; sie schauen Gott mit
ihren Augen, sie hören seine Stimme mit ihren Ohren, sie singen
Lieder zu seien Ehren mit ihrem Kehlkopf u. s. w. Kurz, die modernen
Bewohner des christlichen Paradieses sind ebenso Doppelwesen von
Leib und Seele, ebenso mit allen Organen des irdischen Leibes
ausgestattet, wie unsere Altvorderen in Odin«s Saal zu Walhalla, wie die
"unsterblichen" Türken und Araber in Mohammed«s lieblichen
Paradies-Gärten, wie die altgriechischen Halbgötter und
Helden an Zeus« Tafel im Olymp, im Genusse von Nektar und
Ambrosia.
Man mag sich dieses "ewige Leben" im Paradiese aber noch so herrlich
ausmalen, so muß dasselbe auf die Dauer unendlich langweilig
werden. Und nun gar "Ewig!" Ohne Unterbrechung diese ewig
individuelle Existenz fortführen! Der tiefsinnige Mythus vom
"Ewigen Juden", das vergebliche Ruhesuchen des unseligen
Ahasverus sollte uns über den Werth eines solchen "ewigen
Lebens" aufklären! Das Beste, was wir uns nach einem
tüchtigen, nach unserem besten Gewissen gut angewandten Leben
wünschen können, ist der ewige Friede des Grabes: "Herr,
schenke ihnen die ewige Ruhe!"
Jeder vernünftige Gebildete, der die geologische
Zeitrechnung kennt und der über die lange Reihe der
Jahrmillionen in der organischen Erdgeschichte nachgedacht hat,
muß bei unbefangenem Urtheil zugeben, daß der banale
Gedanke des "ewigen Lebens" auch für den besten Menschen kein
herrlicher Trost, sondern eine furchtbare Drohung ist. Nur
Mangel an klarem Urtheil und folgerichtigem Denken kann dies
bestreiten.
Den besten und den am meisten berechtigten Grund für den
Athanismus giebt die Hoffnung, im "ewigen Leben" die theueren
Angehörigen und Freunde wieder zu sehen, von denen uns hier
auf Erden ein grausames Schicksal früh getrennt hat. Aber auch
dieses vermeintliche Glück erweist sich bei näherer
Betrachtung als Illusion; und jedenfalls würde es stark durch die
Aussicht getrübt, dort auch allen den weniger angenehmen
Bekannten und den widerwärtigen Feinden zu begegnen, die hier
unser Dasein getrübt haben. Selbst die nächsten
Familien-Verhältnisse dürften dann doch manche Schwierigkeiten
bereiten! Viele Männer würden gewiß gern auf alle
Herrlichkeiten des Paradieses verzichten, wenn sie die Gewißheit
hätten, dort "ewig" mit ihrer "besseren Hälfte" oder
gar mit ihrer Schwiegermutter zusammen zu sein. Auch ist es fraglich,
ob dort König Heinrich VIII von England mit seinen sechs Frauen
sich dauernd wohl fühlte; oder gar König August der Starke
von Polen, der seine Liebe über 100 Frauen schenkte und mit
ihnen 352 Kinder zeugte! Da derselbe mit dem Papste, als dem
"Statthalter Gottes", auf dem besten Fuße stand, müßte
auch er das Paradies bewohnen, trotz aller seiner Mängel und
trotzdem seine thörichten Kriegs-Abenteuer mehr als
hunderttausend Sachsen das Leben kosteten.
Unlösbare Schwierigkeiten bereitet auch den gläubigen
Athanisten die Frage, in welchem Stadium ihrer individuellen
Entwickelung die abgeschiedene Seele ihr "ewiges Leben"
fortführen soll? Sollen die Neugeborenen erst im Himmel ihre
Seele entwickeln, unter demselben harten "Kampf um«s Dasein", der den
Menschen hier auf der Erde erzieht? Soll der talentvolle Jüngling,
der dem Massen-Morde des Krieges zu Opfer fällt, erst in Walhalla
seine reichen, ungenutzten Geistesgaben entwickeln? Soll der
altersschwache, kindisch gewordene Greis, der als reifer Mann die Welt
mit dem Ruhm seiner Thaten erfüllte, ewig als
rückgebildeter Geist fortleben? Oder soll er sich gar in ein
früheres Blüthe-Stadium zurück entwickeln? Wenn
aber die unsterblichen Seelen im Olymp als vollkommene Wesen
verjüngt fortleben sollen, dann ist auch der Reiz und das Interesse
der Persönlichkeit für sie ganz verschwunden.
Ebenso unhaltbar erscheint uns heute im Lichte der reinen Vernunft der
anthropistische Mythus vom "jüngsten Gericht", von der
Scheidung aller Menschen-Seelen in zwei große Haufen, von denen
der eine zu den ewigen Freuden des Paradieses, der andere zu
den ewigen Qualen der Hölle bestimmt ist - und das von
einem persönlichen Gotte, welcher "der Vater der Liebe" ist! Hat
doch dieser liebende Allvater selbst die Bedingungen der Vererbung
und Anpassung "geschaffen", unter denen sich einerseits die
bevorzugten Glücklichen nothwendig zu straflosen Seligen,
andererseits die unglücklichen Armen und Elenden ebenso
nothwendig zu strafwürdigen Verdammten entwickeln
mußten.
Eine kritische Vergleichung der unzähligen bunten Phantasie-Gebilde, welche
der Unsterblichkeits-Glaube der verschiedenen
Völker und Religionen seit Jahrtausenden erzeugt hat,
gewährt das merkwürdigste Bild; eine hochinteressante, auf
ausgedehnte Quellen-Studien gegründete Darstellung derselben
hat Adalbert Svoboda gegeben in seinen ausgezeichneten
Werken: "Seelenwahn" (1886) und "Gestalten des Glaubens" (1897). Wie
absurd uns auch die meisten dieser Mythen erscheinen mögen,
wie unvereinbar sie sämmtlich mit der vorgeschrittenen
Natur-Erkenntniß der Gegenwart sind, so spielen sie dennoch auch heute
eine höchst wichtige Rolle und üben trotzdem als "Postulante
der praktischen Vernunft" den größten Einfluß auf die
Lebensanschauungen der Individuen und die Geschicke der
Völker.
Die idealistische und spiritualistische Philosophie der Gegenwart wird
nun freilich zugeben, daß diese herrschenden materialistischen
Formen des Unsterblichkeits-Glaubens unhaltbar seien, und sie wird
behaupten, daß an ihre Stelle die geläuterte Vorstellung von
einem immateriellen Seelen-Wesen, von einer platonischen Idee oder
einer transcendenten Seelen-Substanz treten müsse. Allein mit
diesen unfaßbaren Vorstellungen kann die realistische Natur-Anschauung der
Gegenwart absolut Nichts anfangen; sie befriedigen
weder das Kausalitäts-Bedürfniß unsers Verstandes,
noch die Wünsche unsers Gemüthes. Fassen wir Alles
zusammen, was vorgeschrittene Anthropologie, Psychologie und
Kosmologie der Gegenwart über den Athanismus ergründet
haben, so müssen wir zu dem bestimmten Schlusse kommen: "Der
Glaube an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele ist ein Dogma,
welches mit den sichersten Erfahrungs-Sätzen der modernen
Naturwissenschaften in unlösbarem Widerspruche steht."
Inhalt,
Kapitel
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,
10,
11,
12,
13,
14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
Copyright 1997.
Kurt Stüber
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