Inhalt,
Kapitel
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,
10,
11,
12,
13,
14,
15,
16,
17,
18,
19,
20,
Schlußwort,
Anmerkungen,
Nachwort
Copyright 1997.
Kurt Stüber
Anmerkungen und Erläuterungen
______
1) Kosmologische Perspektive (S. 11). Der geringe Spielraum,
welchen unser menschliches Vorstellungsvermögen uns bei
Beurtheilung großer Dimensionen in Raum und Zeit gestattet, ist
ebenso eine reiche Fehlerquelle von anthropistischen Illusionen wie ein
mächtiges Hinderniß der geläuterten monistischen
Weltanschauung. Um sich der unendlichen Weltdehnung des
Raumes bewußt zu werden, muß man einerseits
bedenken, daß die kleinsten sichtbaren Organismen (Bakerien)
riesengroß sind gegenüber den unsichtbaren Atomen und
Molekeln, welche weit jenseits der Sichtbarheit auch bei Anwendung
der stärksten Mikroskope liegen; andererseits muß man die
unbegrenzten Dimensionen des Weltraumes erwägen, in welchem
unser Sonnen-System nur den Werth eines einzelnen Fixsternes hat und
unsere Erde nur einen winzigen Planeten der mächtigen Sonne
darstellt. - In entsprechender Weise werden wir uns der unendlichen
Ausdehnung der Zeit bewußt, wenn wir uns einerseits an
die physikalischen und physiologischen Bewegungen erinnern, die
innerhalb einer Sekunde sich abspielen, and andererseits an die
ungeheuere Länge der Zeiträume, welche die Entwickelung
der Weltkörper in Anspruch nimmt. Selbst der
verhältnißmäßig kurze Zeitraum der
"organischen Erdgeschichte" (innerhalb deren das organische
Leben auf userem Erdball sich entwickelt hat) umfaßt nach
neueren Berechnungen weit über hundert Millionen Jahre, d. h.
mehr als 100 000 Jahrtausende!
Allerdings lassen die geologischen und paläontologischen
Thatsachen, auf welche sich diese Berechnungen gründen, nur
sehr unsichere und schwankende Zahlen-Angaben zu. Während
wohl die meisten sachkundigen Autoritäten gegenwärtig
für die Länge der organischen Erdgeschichtee 100-200
Millionen Jahre annehmen, beläuft sich dieselbe nach anderen
Schätzungen nur auf 25-50 Millionen; nach einer genauen
geologischen Berechnung der neuesten Zeit auf mindestens
vierzehnhundert Jahrmillionen. Vergl. meinen Cambridge-Vortrag
über den Ursprung des Menschen, 1898, S. 51: "Wenn wir aber
auch ganz außer Stande sind, die absolute Länge der
phylogenetischen Zeiträume annähernd sicher zu
bestimmen, so besitzen wir dagegen andererseits sehr wohl die Mittel,
die relative Länge derselben ungefähr
abzuschätzen. Nehmen wir hundert Millionen Jahre als Minimal-Zahlen, so
würden sich dieselben auf die fünf Hauptperioden
der organischen Geschichte etwa folgendermaßen vertheilen:
- Archozoische Periode (Primordial-Zeit), vom Beginn des
organischen Lebens bis zum Ende der kambrischen Schichtenbildung;
Zeitalter der Schädellosen. - 52 Millionen,
- Paläozoische Periode (Primär-Zeit), vom Beginn
der silurischen bis zum Ende der permischen Schichtenbildung; Zeitalter
der Fische. - 34 Millionen,
- Mesozoische Periode (Sekundär-Zeit), vom Beginn der
Trias-Periode bis zum Ende der Kreide Periode; Zeitalter der Reptilien. -
11 Millionen,
- Cänozoische Periode (Tertiär-Zeit), vom Beginn
der eocänen bis zum Ende der pliocänen Periode; Zeitalter
der Säugethiere. - 3 Millionen,
- Anthropozoische Periode (Quartär-Zeit), vom Beginn der
Diluvial-Zeit (in welchen wahrscheinlich die Entwickelung der
menschlichen Sprache fällt) bis zur Gegenwart; Zeitalter des
Menschen, mindestens 100 000 Jahre = 0,1 Million.
Um die ungeheuere Länge dieser phylogenetischen
Zeiträume dem menschlichen Auffassungs-Vermögen
näher zu bringen und namentlich die relative Kürze der
sogenannten "Weltgeschichte" (d. h. der Geschichte der
Kulturvölker!) zum Bewußtsein zu bringen, hat kürzlich
einer meiner Schüler, Heinrich Schmidt (Jena), die
angenommene Minimal-Zahl von hundert Jahr-Millionen durch
chronometrische Reduktion auf einen Tag projicirt. Durch
diese "verjüngende Projektion" vertheilen sich die 24 Stunden des
"Schöpfungs-Tages" folgendermaßen auf die fünf
phylogenetishen Perioden;
- Archozoische Periode (52 Jahrmillionen) = 12 St. 30 Min. (=
von Mitternacht bis 1/2 1 Uhr Mittags).
- Paläozoische Periode (34 Jahrmillionen) = 8 St. 5 Min.
(von 1/2 1 Uhr Mittags bis 1/2 9 Uhr Abends).
- Mesozoische Periode (11 Jahrmillionen) = 2 St. 38 Min. (von
1/2 9 Uhr bis 1/4 12 Uhr Abends).
- Cänozoische Periode (3 Jahrmillionen) = 43 Min. (von
1/4 12 Uhr Abends bis 2 Min. vor Mitternacht).
- Anthropozoische Periode (0,1-0,2 Jahrmillionen) = 2 Min.
- Kultur-Periode, sogenannte "Weltgeschichte" (6000 Jahre) = 5
Sek.
Wenn man also nur die Minimal-Zahl von 100 Jahrmillionen (nicht die
Maximal-Zahl von 1400!) für die Zeitdauer der organischen
Entwickelung auf unserem Erdball annimmt und diese auf 24 Stunden
projicirt, so beträgt davon die sogenannte "Weltgeschichte"
nur fünf Sekunden (Prometheus, Jahrg. X, 1899, {Nr.
492, S. 381}).
2) Neovitalismus (S. 22). Nachdem die mystische Lehre von
der übernatürlichen "Lebenskraft" durch den
Darwinismus ihren Todesstoß erhalten hatte und bereits vor
zwanzig Jahren glücklich überwunden schien, ist dieselbe
neuerdings wieder aufgelebt und hat sogar im letzten Decennium
zahlreiche Anhänger wieder gewonnen. Der Physiologie
Bunge, der Pathologie Rindfleisch, der Botaniker
Reinke u. A. haben den wiedererstandenen Wunderglauben an
die immaterielle und intellektuelle Lebenskraft mit großem Erfolg
vertheidigt. Den größten Eifer haben dabei einige meiner
früheren Schüler bewiesen. Diese "modernsten"
Naturforscher sind zu der Ueberzeugung gelangt, daß die
Entwickelungslehre und insbesondere der Darwinismus eine haltlose
Irrlehre ist, und daß "Geschichte überhaupt keine
Wissenschaft" ist. Einer derselben hat sogar die Diagnose gestellt,
daß "alle Darwinisten an Gehirnerweichung leiden". Da nun
trotz des Neovitalismus die große Mehrzahl der modernen
Naturforscher (wohl mehr als neun Zehntel!) in der Entwickelungslehre
den größten Fortschritt der Biologie in unserem Jahrhundert
erblickt, wird man wohl diese bedauerliche Thatsache durch eine
furchtbare cerebrale Epidemie erklären müssen. Alle diese
albernen Verdammungsurtheile von Seiten unklarer und einseitig
gebildeter Specialisten schaden unserer modernen Entwickelungslehre
und Geschichtswissenschaft ebenso wenig die die Bannflüche des
Papstes.
Der Neovitalismus wird in seiner ganzen Dürftigkeit und
Haltlosigkeit klar, wenn man ihn den Thatsachen der Geschichte
in der ganzen organischen Welt gegenüberstellt. Diese historischen
Thatsachen der "Entwickelungsgeschichte" im weitesten Sinne, die
Fundamente der Geologie, der Paläontologie, der Ontogenie u. s. w.
sind in ihrem natürlichen Zusammenhang nur durch
unseres monistische Entwickelungslehre erklärbar, und
diese verträgt sich weder mit dem alten noch mit dem neuen
Vitalismus. Daß gerade jetzt der letztere an Ausdehnung gewinnt,
erklärt sich zum Theil auch aus der bedauerlichen Thatsache der
allgemeinen Reaktion im geistigen und politischen Leben, welche
das letzte Decennium des neunzehnten Jahrhunderts vor demjenigen des
achtzehnten in höchst unvorteilhafter Weise auszeichnet. In
Deutschland insbesondere hat der sogenannte "neue Kurs"
höchst depravirende byzantinische Zustände nicht nur im
politischen und kirchlichen Leben, sondern auch in Kunst und
Wissenschaft hervorgerufen. Indessen bedeutet diese moderne Reaktion
im Großen und Ganzen doch nur eine vorübergehende
Episode.
3) Teleologie von Kant (S. 105). Durch die erstaunlichen
Fortschritte der modernen Biologie ist die teleologische
Naturerklärung von Kant vollkommen widerlegt
worden. Die Physiologie hat inzwischen den Beweis geführt,
daß alle Lebenserscheinungen auf chemische und physikalische
Processe zurückzuführen sind, und daß es zu ihrer
Erklärung weder eines persönlichen Schöpfers
als Werkmeister noch einer räthselhaften, zweckmäßig
bauenden Lebenskraft bedarf. Die Zellentheorie hat uns gezeigt,
daß alle verwickelten Lebensthätigkeiten der höheren
Thiere und Pflanzen von den einfachen physikalisch-chemischen
Vorgängen im Elementar-Organismus der mikroskopischen
Zellen abzuleiten sind, und daß die matierelle Grundlage
derselben das Plasma des Zellenleibes ist. Das gilt ebenso von den
Erscheinungen des Wachsthums und der Ernährung wie von
denjenigen der Fortpflanzung, Empfindung und Bewegung. Das
biogenetische Grundgesetz lehrt uns, daß die räthselhaften
Erscheinungen der Keimesgeschichte (die Entwickelung der Embryonen
wie die Verwandelung der Jugendformen) auf Vererbung von
entsprechenden Vorgängen in der Stammesgeschichte der Ahnen
beruhen. Die Descendenz-Theorie aber hat das Räthsel
gelöst, wie die Vorgänge in dieser Stammesgeschichte, die
physiologischen Thätigkeiten der Vererbung und Anpassung, im
Laufe langer Zeiträume einen beständigen Wechsel der
Artformen, eine langsame Transformation der Species bedingen.
Die Selektions-Theorie endlich führt den klaren Nachweis,
wie bei diesen phylogenetischen Vorgängen die
zweckmäßigsten Einrichtungen entstehen. Darwin hat
damit ein mechanisches Erklärungs-Princip der organischen
Zweckmäßigkeit zur Geltung gebracht, welches schon vor
mehr als 2000 Jahren Empedokles geahnt hatte; er ist damit der
"Newton der organischen Natur" geworden, dessen
Möglichkeit Kant entschieden bestritten hatte.
Diese historischen Verhältnisse, die ich schon vor 30 Jahren (im
fünften Kapitel der Natürlichen Schöpfungsgeschichte)
hervorgehoben hatte, sind so interessant und wichtig, daß ich sie
hier nochmals betonen wollte. Es erscheint dies nicht nur deshalb
angemessen, weil die moderne Philosophie mit besonderem Nachdruck
den "Rückgang auf Kant" verlangt, sondern auch weil
daraus hervorgeht, daß selbst die größten Metaphysiker
blind in schwere Irrthümer bei Beurtheilung der wichtigsten
Fragen verfallen können. Kant, der nüchterne und
klare Begründer der "kritischen Philosophie", erklärt mit
größter Bestimmtheit die Hoffnung auf eine Entdeckung
für "ungereimt", welche schon 70 Jahre später von
Darwin thatsächlich gemacht wurde, und er spricht dem
Menschengeiste für alle Zeit eine bedeutungsvolle Einsicht ab,
welche derselbe durch die Selektions-Theorie des Letzteren
thatsächlich erlangte. Man sieht, wie gefährlich das
kategorische "Ignorabimus" ist!
Angesichts der übertriebenen Verehrung, welche Kant in
der neueren Deutschen Philosophie gezollt wird, und welche bei vielen
"Neu-Kantianern" in eine unbedingte, abgöttische Anbetung
übergeht, wird es uns gestattet sein, hier die menschlichen
Unvollkommenheiten des großen Königsbergers Philosophen
zu beleuchten und verhängnißvollen Schwächen seiner
"kritischen" Weltweisheit. Seine dualistische, mit den Jahren immer
zunehmende Richtung zur transcendentalen Metaphysik war bei
Kant schon durch die mangelhafte und einseitige Vorbildung auf
der Schule und der Universität bedingt. Seine dort erlangte
akademische Bildung war überwiegend philologisch,
theologisch und mathematisch; von den
Naturwissenschaften lernte er nur Astronomie und Physik
gründlich kennen, zum Theil auch Chemie und Mineralogie.
Dagegen blieb ihm das weite Gebiet der Biologie, selbst in dem
bescheidenen Umfange der damaligen Zeit, größtentheils
unbekannt. Von den organischen Naturwissenschaften hat er weder
Zoologie noch Botanik, weder Anatomie noch Physiologie studiert; daher
blieb auch seine Anthropologie, mit der er sich lange Zeit
beschäftigte, höchst unvollkommen. Hätte Kant
statt Philologie und Theologie mehrere Jahre Medizin studiert,
hätte er sich in den Vorlesungen Anatomie und Physiologie eine
gründliche Kenntniß des menschlichen Organismus, in
dem Besuche der Kliniken eine lebendige Abbildung von dessen
pathologischen Veränderungen angeeignet, so würde nicht
nur die Anthropologie, sondern die gesammte Weltanschauung
des "kritischen" Philosophen eine ganz andere Form gewonnen haben.
Kant würde sich dann nicht so leichten Herzens über
die wichtigsten, schon damals bekannten biologischen Thatsachen
hinweggesetzt haben, wie es in seinen späteren Schriften (seit
1769) geschah.
Nach Vollendung seiner Universtäts-Studien mußte
Kant sich neun Jahre hindurch sein Brod als Hauslehrer
verdienen, vom 22.-31. Lebensjahre, also gerade in jener wichtigsten
Periode des Jünglings-Lebens, in welcher nach aufgenommener
akademischer Bildung die selbstständige Entwickelung des
persönlichen und wissenschaftlichen Charakters für das
ganze folgende Leben sich entscheidet. Hätte Kant, der den
größten Theil seines Lebens in Königsberg fest saß
und niemals die Grenzen der Provinz Preußen überschritt,
damals größere Reisen ausgeführt, hätte er
seinem lebhaften geographischen und anthropologischen Interesse
durch reale Anschauungen lebendige Nahrung zugeführt, so
würde diese Erweiterung seines Gesichtskreises auf die Gestaltung
seiner idealen Weltanschauung sicher in höchst wohlthätiger
Weise eingewirkt haben. Auch der Umstand, daß Kant
niemals verheirathet war, kann bei ihm wie bei anderen
philosophierenden Junggesellen als Entschuldigung für
mangelhafte und einseitige Bildung angesehen werden. Denn der
weibliche und der männliche Mensch sind zwei wesentlich
verschiedene Organismen, die erst in ihrer gegenseitigen
Ergänzung das volle Bild des normalen Gattungs-Begriffs "Mensch"
ausgestalten.
4) Kritik der Evangelien (S. 125). S. E. Verus, Vergleichende
Uebersicht (Vollständige Synopsis) der vier Evangelien in
unverkürztem Wortlaut. Leipzig 1897. Schlußwort:
"Jede Schrift muß aus dem Geist ihrer Zeit verstanden und
beurtheilt werden. Die "Evangelien"-Dichtungen entstammen
einer ganz unwissenschaftlichen Zeit und Kreisen voll rohen
Aberglaubens; sie sind für ihre Zeit, nicht für die
gegenwärtige oder gar für "alle Zeiten" geschrieben worden,
aber auch nicht als Geschichtsbücher, sondern als
Erbauungschriften, zum Theil als kirchliche Streitschriften. Nur das
Interesse der Kirche, ihrer Priesterschaft und der mit ihnen
verbundenen gesellschaftlichen Einrichtungen verlangte es, den
Ursprung jener Schriften auf "Apostel" (Matthäus, Johannes) oder
"Apostelschüler" (Markus, Lukas) zurückzuführen, und
reicht allein schon hin, auf ganz einfache natürliche Weise ihr
Jahrhunderte lang fortbestehendes Ansehen zu erklären, das man
gern auf übernatürliche Einflüsse
zurückzuführen pflegt.
"Die ursprüngliche Form dieser Dichtungen hat in den ersten
Jahrhunderten mannigfache Veränderungen erlitten und ist
gegenwärtig nicht mehr festzustellen. Die Sammlung der Schriften
des Neuen Testaments hat sich nur sehr langsam gebildet, und
über ihre Anerkennung ist zum Theil erst nach Jahrhunderten ein
Einverständniß erzielt worde. Alles, was an
Glaubenssatzungen aus den Schriften jener kritiklosen Zeit hergeleitet
wird wird, beruht auf Willkür, Irrthum, wenn nicht
bewußter Fälschung.
"Zu jeder Zeit großen Druckes haben die Juden auf einen Retter
(Messias) gehofft. So begrüßt Jesaias 45 1, nach Ablauf
der babylonischen Gefangenschaft (597-538), den Perserkönig
Cyrus (einen Nichtjuden), der dem Volke die Freiheit schenkte,
als Messias. Ein Hoherpriester Josua führte die Juden in die
Heimath zurück, und die Sage schuf einen älteren Josua, der
als "Moses" Nachfolger sein Volk nach Kanaan gebracht hätte. Nach
der Zerstörung Jerusalems (70 u. Z.) erklärte der gelehrte
Jude Josephus, der Menschheit bleibe nunmehr ein größerer
Tempel, der nicht von Menschenhänden gebaut sei, und sah in
Kaiser Vespasian einen Messias, der der ganzen Welt die wahre
Freiheit bringe. Aber auch im weiten Römerreich träumte
mancher Dichter und Denker von einem "Weltheiland", und in
wenigen Jahrzehnten traten eine ganze Reihe von "Messiassen" auf. Zu
jenen beiden Josuas schuf das poetisch thätige Volksgemüth
einen dritten Josua (griechisch Jesus).
"Das Leben eines solchen, besonders eines schwärmerisch
angelegten Armenfreundes, Wunderthäters und Weltheilandes
war nicht eben allzu schwer zu beschreiben: Erlebnisse, Thaten, Reden
lieferten (von den damals im Morgenlange seit Jahrhunderten allgemein
verbreiteten Krischna- und Buddha-Sagen ganz abgesehen) Vorbilder
des Alten Testaments; ein Moses, ein Elias, ein Elisa, hinter denen er
natürlich nicht zurückbleiben durfte, Worte der Psalmen
und Propheten. Vielfach nahmen dabei die Verfasser bildlich Gemeintes
buchstäblich. Die Kirchenväter hielten noch manche
Wundererzählung für ein Gleichniß, während die
Kirche jetzt so ziemlich Alles, auch das Wunderlichste,
buchstäblich genommen haben will.
"Das Bild des Messias gestaltete sich ganz allmählich aus. In den
nachweislich vor den "Evangelien"-Dichtungen entstandenen
"Paulus"-Briefen findet sich von ihm nichts als Tod und
Auferstehung. Aus wörtlich aufgefaßten Prophetenstellen
dichtete man dann Lehre und Heilthätigkeit hinzu. Zuletzt erst
fragte man sich: wo, wie, von wem ist er geboren? wie lange hat er
gelebt? u. A. Sobald einmal das Beispiel einer solchen Dichtung (wie die
später "Nach Markus", dann "Evangelium nach Markus" genannte)
gegeben war, ergoß sich eine Flut ähnlicher Dichtungen, zum
Theil geschmackloser Zerrbilder, zum Theil in den Grenzen einer Art
Möglichkeit gehaltener Lebensbilder. Jede Gegend, ja jede
bedeutendere Gemeinde hatte ihr Evangelium, und oft nannte sich
dieses nach einem bekannt gewordenen Namen; unter solchen fremden
Namen zu schreiben, galt für durchaus erlaubt.
"Diese "Evangelien"-Dichtungen versetzen ihren Helden in die erste
Hälfte des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Aber weder
jüdische Schriftsteller (wie Philo und Josephus) noch
römische und griechische (wie Tacitus, Sueton, Plinius, Dio Cassius)
dieser und der nächstfolgenden Zeit kennen einen solchen
"Jesus von Nazaret" oder die aus seinem Leben erzählten
Vorfälle; ja nicht einmal eine Stadt Nazareth ist bekannt."
5) Christus und Buddha (S. 131). Dem ausgezeichneten Werke
von S. E. Verus: "Vergleichende Uebersicht der vier Evangelien"
(Einzig vorhandene Quelle für ein Leben Jesu, Leipzig 1897)
entnehme ich folgende Mittheilung: "Professor Rudolf Seydel hat
in mehreren fleißigen Arbeiten, die auch von namhaften
theologischen Gelehrten, wie Professor Pfleiderer, anerkannt
werden, die "Evangelien-Dichtungen" mit den verschiedenen,
nachweislich vor unserer Zeitrechnung entstandenen indischen und
chinesischen Lebensbeschreibungen Buddhas verglichen und
Folgendes als zweifellos festgestellt: Die Grundlage des Lebens
der beiden "Religionsstifter" bildet ein belehrendes und heilendes
Wanderleben, meist in Begleitung von Schülern, bisweilen
unterbrochen von Ruhepausen (Gastmäler,
Wüsteneinsamkeit); daneben Predigten auf Bergen und Aufenthalt
in der Hauptstadt nach feierlichem Einzuge. Aber auch in vielen
Einzelheiten und ihrer Reihenfolge zeigt sich eine überraschende
Uebereinstimmung.
"Buddha ist ein fleischgewordener Gott, als Mensch
königlicher Abkunft. Er wird auf übernatürliche Weise
gezeugt und geboren, seine Geburt auf wunderbare Weise vorher
verkündet. Götter und Könige huldigen dem
Neugeborenen und bringen Geschenke dar. Ein alter Brahmane erkennt
in ihm sofort den Erlöser von allen Uebeln. Friede und Freude
zieht auf Erden ein. Der junge Buddha wird verfolgt und wunderbar
gerettet, feierlich im Tempel dargestellt, als zwölfjähriger
Knabe von den Eltern mit Sorgen gesucht und mitten unter Priestern
wiedergefunden. Er ist frühreif, übertrifft seine Lehrer und
nimmt zu an Alter und Weisheit. Er fastet und wird versucht. Er nimmt
ein Weihebad im heiligen Flusse. Einzelne Schüler eines weisen
Brahmanen gehen zu ihm über. Berufungswort ist "Folge
mir". Einen Schüler weiht er nach indischem Brauch unter
einem Feigenbaum. Unter den Zwölfen sind drei
Musterschüler und einer ein ungerathener. Die früheren
Namen der Schüler werden geändert. Daneben findet sich
ein weiterer Kreis von achtzig Schülern. Buddha sendet seine
Schüler, mit Unterweisungen versehen, zwei und zwei aus. Ein
Mädchen aus dem Volke preist seine Mutter selig. Ein reicher
Brahmane möchte ihm folgen, kann sich aber nicht von seinen
Gütern trennen; ein anderer besucht ihn Nachts. Seiner Familie gilt
er nichts; er findet aber bei Vornehmen und bei Frauen Anhang.
"Buddha tritt als Lehrer mit Seligpreisungen auf; besonders spricht er in
Gleichnissen. Seine Lehren zeigen (oft sogar in der Wahl der Worte)
überraschende Aehnlichkeit; er lehnt Wunder ab, verachtet
irdische Güter, empfiehlt Demut, Friedfertigkeit, Feindesliebe,
Selbsterniedrigung und Selbstüberwindung, ja Enthaltung von
geschlechtlichem Verkehr. Er lehrt auch sein Vordasein. In seinen
Todesahnungen betont er, daß er heim, in den Himmel gehe, und in
den Abschiedsreden ermahnt er die Schüler, verheißt ihnen
einen Fürsprech ("Tröster") und weist auf eine allgemeine
Weltzerstörung hin. Heimatlos und arm zieht er umher, als Arzt,
Heiland, Erlöser. Die Gegner werfen ihm vor, daß er die
Gesellschaft der "Sünder" bevorzuge. Noch kurze Zeit vor seinem
Tode ist er bei einer "Sünderin" zu Gast geladen. Ein Schüler
bekehrt ein Mädchen aus verachteter Klasse an einem Brunnen.
Zahlreiche Wunder bestätigen seine Gottheit (er wandelt auf dem
Wasser u. a.). Feierlich zieht er in die Residenz ein und stirbt unter
Wunderzeichen: die Erde bebt, die Enden der Welt stehen in Flammen,
die Sonne erlischt, ein Meteor fällt vom Himmel. Auch Buddha
fährt zur Hölle und zum Himmel".
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Schlußwort
Copyright 1997.
Kurt Stüber
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